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Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder

Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder

Titel: Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Paqué
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Reaktion auf das zu erzielende hohe Lohnniveau. Wir stellen also letztlich die Frage, wie sich der neben der Arbeit wichtigste Produktionsfaktor entwickeln wird, und zwar zum einen aufgrund einer eigenständigen Dynamik der Weltkapitalmärkte, zum anderen aufgrund der Knappheit der Arbeitskräfte und deren steigender Löhne.
    Beginnen wir mit der Dynamik der globalen Kapitalmärkte. 65 Ähnlich wie am Arbeitsmarkt beobachten wir auch am Kapitalmarkt historisch sehr langfristige Phasen der Knappheitsbedingungen. Schaubild 12a zeigt die Entwicklung des Realzinses, definiert als die nominale Rendite auf langfristige Schuldverschreibungen abzüglich der laufenden Inflationsrate, für Deutschland im Zeitraum 1954 bis 2011. 66 Das Bild ist recht eindeutig: hohe Realzinsen in den 1950er- und 1960er-Jahren, der Zeit von Wirtschaftswunder und Vollbeschäftigung; niedrigere Realzinsen von den späten 1960er- bis zu den späten 1970er-Jahren, der Zeit der starken Preisinflation; danach Realzinsanstieg mit einem Höhepunkt in den 1980er- bis zu den frühen 1990er-Jahren, den Zeiten zunächst der Inflationsbekämpfung und später des Aufbaus Ost; und schließlich – mit konjunkturellen Schwankungen – eine Abnahme auf ein historisch niedriges Niveau, das im letzten Jahrzehnt bis in die allerjüngste Zeit erreicht wurde. Man muss schon auf die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurückgehen, um über einen längeren Zeitraum ähnlich niedrige Realzinsen zu finden wie in der letzten Dekade ( Schaubild 12b ): Zwischen 1853 und 1911 gab es zwei Phasen niedriger Realzinsen, nämlich von Mitte der 1860er- bis Mitte der 1870er-Jahre und dann wieder von Mitte der 1890er-Jahre bis zum Ersten Weltkrieg. Es sind dies ziemlich genau jene Wirtschaftsphasen, die durch eine besonders kräftige Zunahme von Produktion und Beschäftigung gekennzeichnet waren. 67

    Die jüngste Phase sehr niedriger Realzinsen war, wie alle anderen Phasen auch, kein isoliert deutsches Phänomen. Es gab weltweit niedrige Realzinsen, ein Zustand, den Beobachter geradezu liebevoll als „Great Moderation“ 68 bezeichneten, ein Begriff, der allerdings mit der Weltfinanzkrise 2007/08 geschwind wieder aus dem Sprachgebrauch gestrichen wurde. Zweifellos gab es wesentliche monetäre Gründe für diese Entwicklung, insbesondere die Politik der amerikanischen Zentralbank, die in der Frühphase der 2000er-Jahre eine überaus expansive Liquiditätspolitik mit niedrigen Leitzinsen verfolgte, 69 sowie eine übergroße Expansion des transatlantischen Kreditvolumens innerhalb des Bankensystems. 70 In den Vereinigten Staaten kam noch eine systematische Subventionierung von Wohnungsbaukrediten hinzu, als eine Art amerikanische Variante der Sozialpolitik für einkommensschwache Bevölkerungsschichten, die sich die Marktkonditionen bei Hypothekenkrediten nicht leisten konnten. Auch sie wirkte für Kreditnehmer zinssenkend. 71 All dies zusammen sorgte für eine ungewöhnlich starke Zunahme der Kapitalnachfrage in den Vereinigten Staaten und einigen europäischen Ländern. Es entstanden in vielen Ländern Immobilienblasen, die dann mit Macht im Zuge der Weltfinanzkrise ab 2007 platzten.
    So weit die monetäre Seite. Gleichzeitig gab es aber auch nichtmonetäre Gründe für die niedrigen Realzinsen, also Gründe, die in der „realen“ Wirtschaft zu suchen sind und nichts mit Geld- und Bankenpolitik zu tun haben. Vor allem strömten in ungewöhnlich großem Umfang Ersparnisse auf den Weltmarkt, und zwar aus jenen Ländern, die über längere Zeiträume hohe Überschüsse in ihrer Leistungsbilanz aufwiesen. Dazu zählten in erster Linie China, Deutschland und Japan, aber auch eine Reihe südostasiatischer Länder, die noch in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre schwere Finanzkrisen erlebt hatten und daraus mit öffentlicher Sparpolitik und privater Konsumzurückhaltung Konsequenzen zogen. Es gab deshalb auch eine „reale“ Kapitalschwemme, die den Zustand der niedrigen Realzinsen alimentierte. 72
    So weit die Vergangenheit. Die Frage ist nun: Wird der Zustand niedriger Realzinsen in der Zukunft fortdauern? Die Antwort auf diese Frage hängt entscheidend davon ab, welche der Ursachen niedriger Realzinsen man für die gewichtigeren hält, die monetären oder die realen. War es vor allem die Kombination von laxer Geldpolitik und Überexpansion des privaten Kreditvolumens, die für die Blase sorgte, sollte sich der Realzins in der laufenden Dekade alsbald auf einem langjährigen

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