Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder
Durchschnittsniveau einpendeln, das deutlich über dem extrem niedrigen Niveau der letzten Jahre liegt; denn die Aufblähung an den Geld- und Kreditmärkten ist mit der Weltfinanzkrise 2007/08 verschwunden. Geht es allerdings vor allem um ein tieferes realwirtschaftliches Phänomen der Kapitalschwemme, dann ist mit einer Korrektur auf längere Sicht nicht ohne Weiteres zu rechnen. Die Blase ist nach dieser Sicht lediglich eine Art erste historische Erscheinungsform eines Zustands, der sich nur dann von selbst korrigiert, wenn sich die tieferen realen Gründe dafür nachhaltig verändern. Mit dem Verschwinden einer Blase geschieht dies keineswegs automatisch. Es ist mithin die Diagnose einer langfristigen Kapitalschwemme, die besonders weitreichende Implikationen für die Zukunft in sich trägt. Es lohnt sich deshalb, sie etwas ausführlicher zu behandeln. Ihr Gedankengang wird im Folgenden knapp zusammengefasst. 73
Startpunkt ist eine fundamentale Beobachtung: Die Weltbevölkerung hat einen neuen Zustand erreicht, der über einen langen Zeitraum anhalten wird. Dieser Zustand ist durch zwei zentrale strukturelle Charakteristika gekennzeichnet: Alterung und steigende Lebenserwartung. Diese gemeinsamen Trends gibt es nicht mehr nur wie bisher in reifen Industrieländern, sondern in zunehmendem Maße auch in großen Entwicklungs- und Schwellenländern der Welt, allen voran in China. Der wichtigste Grund dafür ist einfach: Das wirtschaftliche Aufholen sehr großer Entwicklungs- und Schwellenländer verändert die Demografie in Richtung weniger Kinder und verbessert die medizinischen und hygienischen Bedingungen in Richtung des längeren Überlebens älterer Menschen. Dies sind fundamentale Veränderungen, die sich in späteren Stadien der Entwicklung nicht mehr zurückbilden, wie die Erfahrung der reichen Industrienationen zeigt. Übrigens sind es im Kern Veränderungen zum Besseren und Wünschenswerten, sieht man einmal von dem Schrumpfen der Bevölkerung ab, das sich bei niedriger Kinderzahl ab Mitte des Jahrhunderts abzeichnen könnte. 74 Standen also zu früheren Zeiten wenige alternde und reiche Nationen vielen jungen und armen Nationen gegenüber, so ist dies auf absehbare Zeit nicht mehr der Fall.
Die Konsequenzen dieser Entwicklung für das globale Sparverhalten sind weitreichend. Denn ein wesentliches Motiv des Sparens in einer Gesellschaft ist die Altersvorsorge – mit Blick auf eine Rente zum Überleben und eine möglichst gute Gesundheitsversorgung im Alter. Dieses Motiv gewinnt im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung sogar noch an Bedeutung, denn die Erfahrung lehrt, dass sich im Verlauf von Industrialisierung und Urbanisierung großfamiliäre Versorgungsbande tendenziell auflösen und somit für das gleiche Niveau an Versorgung im Alter ein höheres Maß an Ersparnis in den aktiven Jahren nötig ist. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass es in den nächsten Jahren irgendwelche größeren Regionen der Welt geben könnte, die diesem bestens bestätigten „Gesetz“ der wirtschaftlichen Entwicklung entrinnen.
Carl Christian von Weizsäcker hat diesen Gedanken in der treffenden, wenn auch etwas abstrakten Vorstellung einer „Sparperiode“ beschrieben. 75 Es geht dabei – grob gesprochen – um das Verhältnis von in die Zukunft verlagertem Konsum, gewissermaßen gespeichert in einem angesammelten Vermögen, zu dem jährlichen Konsum. Dieses Verhältnis nimmt weltweit drastisch zu, eben weil Alterung und steigende Lebenserwartung die Menschen veranlassen, in ihrer aktiven Arbeitsphase mehr für spätere Zeiten zurückzulegen, also anzusparen. Dies kann in ganz unterschiedlichen Formen institutionell ausgestaltet sein: von der „expliziten“ Variante des freiwilligen privaten Ansparens bis zur „impliziten“ Variante, den Systemen der Renten- und Krankenversicherung, die über Beiträge oder Steuern die derzeit aktive Generation heranzieht, um – via „Zwangssparen“ – die derzeitige Rentnergeneration zu finanzieren und genau dadurch in der Zukunft das soziale Recht zu erwerben, im eigenen Alter dann durch die künftig aktive Generation alimentiert zu werden. Beide Varianten des Sparens, die explizite und die implizite, also die freiwillig-individuelle und die zwangsweise-soziale, laufen gesamtwirtschaftlich im Kern darauf hinaus, einen Konsum in die Zukunft zu verlagern. 76
In beiden Varianten gibt es Möglichkeiten, dem Wunsch nach einer Verlängerung der Sparperiode Rechnung zu tragen.
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