Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder
Arbeitskräften erlaubt. 82
Bei genauerer Überlegung gibt es allerdings doch auch langfristig eine Grenze der Kapitalintensivierung, die anscheinend nicht leicht zu durchbrechen ist. Sie gilt für den Bereich sehr niedriger Realzinsen, also für jene Investitionsprojekte, die nur noch eine minimale Rendite abwerfen. Für sie liegt die Grenze in den ansteigenden Erhaltungskosten, die grundsätzlich jede Kapitalanlage – ob Ausrüstungen oder Bauten – mit sich bringt. Es ist schwer vorstellbar, einen Arbeitsplatz mit immer größeren, aufwendigeren und anspruchsvolleren Maschinen auszustatten oder in immer bessere Räume zu platzieren, ohne nicht die Folgekosten dieser Anlagen in Form von Pflege und Wartung in die Höhe zu treiben und damit die Investition doch unrentabel zu machen. Ist dies tatsächlich so, bleibt bei sehr niedrigem Zins stets ein Ersparnisüberhang – mit sehr weitreichenden Konsequenzen für die Möglichkeit, überhaupt den Kapitalmarkt ohne Inflation (und damit Senkung der Realzinsen) ins Gleichgewicht zu bringen. 83 Die Frage ist allerdings, ob die neue und merkwürdige Gesamtkonstellation – teure Arbeit, extrem niedriger Zins, Trend zu massiver Kapitalintensivierung – nicht doch den Keim für eine Art neuen Wachstumspfad in sich trägt, bei dem die Wirtschaft das billige Kapital vollständig nutzt.
Den Schlüssel dazu liefert wie so häufig der technische Fortschritt. Er wird nämlich auch auf steigende Erhaltungskosten reagieren: Gibt es bei hohen Löhnen und niedrigen Zinsen Möglichkeiten der Investition, die nur an den Folgekosten der Pflege und Wartung scheitern, dann wird es wiederum einen neuen ökonomischen Anreiz geben, und zwar zur systematischen Suche nach Techniken, die eben geringere Folgekosten nach sich ziehen, als es die bisher vorhandenen tun. Dies mag bei Großanlagen von Ausrüstungen und Bauten unmöglich sein. Im wichtigen Bereich der Computer- und Informationstechnik sieht es aber ganz anders aus, wie eigentlich schon die historische Erfahrung der letzten Jahrzehnte gezeigt hat: Mit der praktisch vollständigen Ausstattung der Büros unserer Wirtschaft mit Personal Computer und Internetanschluss ist zwar der absolute Erhaltungsaufwand gestiegen. Im Verhältnis zur Steigerung der Arbeitsproduktivität durch Speicherkapazität, Vernetzung und viele andere technische Optionen ist er aber heute viel geringer als zu Zeiten des wartungsintensiven und störungsanfälligen Mainframe-Computers, der noch Anfang der 1980er-Jahre die Welt beherrschte. Offenbar gibt es ohnehin schon im Gleichschritt mit dem technischen Fortschritt einen gewissen Trend zur Einsparung von Erhaltungskosten. Sorgen nun sehr hohe Arbeits- und sehr niedrige Kapitalkosten für eine weitere Verstärkung der Anreize, diese Erhaltungskosten zu senken, so wird der technische Fortschritt genau in diese Richtung gelenkt. Die Robustheit von Anlagen wird als Ziel des technischen Fortschritts aufgewertet. Es wird so der Produktionsumweg der Investition noch um eine weitere Schleife erweitert, und zwar um die Forschung nach robusten Lösungen. Und gerade diese Art von Forschung wird wegen des billigen Kapitals zunehmend rentabel.
In der Tat stellt sich in diesem Zusammenhang die spekulative Frage, wie überhaupt ein künftiger Kapitalstock aussieht. Konkret: Wie wird in der Zukunft dem Faktor Arbeit geholfen, eine höhere Wertschöpfung zu erzielen und damit den höheren Lohn, den der Markt erzwingt, auch zu erwirtschaften? Wahrscheinlich muss man sich in dieser Hinsicht ein Stück lösen von der Vorstellung eines „physischen Kapitalstocks“ in Form von materiellen Anlagen und Bauten, die den Arbeitnehmer unterstützen, so wie es in der „klassischen“ Industriewirtschaft mit ihrer mechanischen Maschinenwelt der Fall war. Es wird wahrscheinlich eher um eine virtuelle Welt gehen, in der sich ein Produktionsarbeiter bewegt: Produkte werden dabei virtuell entworfen, verändert und bearbeitet und erst dann in kleiner Stückzahl maßgeschneidert hergestellt. Gerade dadurch könnte aber der Grad der Abnutzung des Maschinenparks geringer und die Nutzung selbst robuster werden. Vieles davon muss heute allerdings noch allzu vage Fantasie bleiben, wenn auch die Entwicklungen der letzten Jahre in dieser Hinsicht sehr ermutigend sind. Jedenfalls liegt der eigentliche Engpass wohl kaum in prohibitiven Erhaltungskosten selbst, sondern eher in der Originalität der Menschen, neue Lösungen als Reaktion auf die
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