Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder
Preisanreize zu finden. Es ist also vor allem ein Mangel an Innovationskraft, der als Engpass das „intensive“ Wachstum behindern könnte – und nicht irgendeine absolute Kostenschranke der physischen Erhaltung.
Aus alledem wird klar: Deutschland befindet sich in einer merkwürdigen Grundkonstellation, die es in dieser Form historisch noch nie gegeben hat. Seit langer Zeit, mindestens seit den späten 1940er-Jahren, ist die Verfügbarkeit von Kapital der wirtschaftliche Engpass gewesen, den es zu erweitern galt. In den 1950er- und 1960er-Jahren lag der Kapitalbedarf im Wiederaufbau, und er erfolgte über hohe Gewinne und Selbstfinanzierung der Unternehmen bei zunächst hohen, aber eher sinkenden Realzinsen; in den 1970er- und 1980er-Jahren lag er in der Welle der Kapitalentwertung infolge der Ölkrisen, und er musste in einem inflationär überhitzten Klima mit hohen Nominal- und Realzinsen über zusätzliche Ersparnisse finanziert werden; in den 1990ern schließlich lag er im Aufbau Ost als Folge eines massiv aufgestauten Investitionsbedarfs in jenem Teil Deutschlands, der über vier Jahrzehnte unter der grotesken Fehllenkung von Kapital in der Planwirtschaft gelitten hatte. Mit dem Auslaufen dieser Aufgabe deutet sich auf Dauer eine neue Grundkonstellation an. Bei dieser ist eben nicht mehr das Kapital selbst der Engpass, sondern jene Innovationskraft, die nötig ist, um die billige Ersparnis in positiv rentierliche Investitionen zu lenken und damit – gerade wegen der teuren Arbeitskraft – einen hinreichend großen Fortschritt der Wertschöpfung pro Arbeitsplatz zu erzielen. Was als Engpass zählt, ist also die Komplementarität von Innovationskraft und Kapital, nicht die von Arbeit und Kapital: Während Arbeit grundsätzlich in weiten Bereichen durch Anlagen ersetzt werden kann, ist die Innovationskraft die Voraussetzung, um diesen Prozess überhaupt in Gang zu setzen und zu halten.
Eine dritte industrielle Revolution?
Auf dem Weg in die digitale Maßarbeit
Am 21. April 2012 erschien die britische Wochenzeitschrift The Economist mit der Überschrift „A third industrial revolution“. Im Blatt selbst wurde in einem prominenten Leitartikel sowie in einem 14-seitigen „special report“ ausführlich begründet, wie und warum eine massive Veränderung der Technik und Arbeitsweise in der Industrie bevorsteht. Nachdem der Computer und das Internet die Welt der Dienstleistungen grundlegend umgestaltet haben, steht nun auch eine fundamentale Transformation im verarbeitenden Gewerbe bevor.
Der zentrale Gedankengang ist dabei einfach. Er kreist vor allem um die Durchbrüche im digitalisierten „additive manufacturing“. So bestand die traditionelle physische Be- und Verarbeitung in der Industrie vor allem darin, dass vorgefertigte Teile verschweißt oder verschraubt wurden. Dies geschah in physischer und maschineller Präzisionsarbeit, natürlich längst unterstützt von einer modernen Phalanx von computergesteuerten Maschinen und Geräten, aber doch noch immer als höchste Kunst des qualifizierten Facharbeiters. Die Zukunft könnte anders aussehen: Das Produkt entsteht zunächst virtuell als dreidimensionales Objekt (3-D), und dieses wird dann gemäß den digitalisierten Maßen und Anweisungen von einem „3-D-Drucker“, wenn man es so nennen will, „ausgedruckt“. Dies geschieht Schicht für Schicht, wobei die jeweilige Schicht extrem dünn sein kann, bis hinein in den kleinsten Nanobereich. Und wenn nötig kann sie aus den verschiedensten Materialien bestehen. Auch jede noch so komplexe innere Gestalt des Produkts kann auf diese Weise erzeugt werden, mit Kurven, Krümmungen und Knicks, die sich jeder mechanischen Bearbeitung entziehen.
All dies wird natürlich erst möglich durch Fortschritte in anderen, komplementären Technologiebereichen. Vor allem braucht es neuartige Werkstoffe, die für den spezifischen Zweck die bestmöglichen Eigenschaften aufweisen. Sind diese vorhanden, steht allerdings nicht weniger als eine industrielle Revolution bevor – die dritte nach der Einführung der mechanischen Maschinen im späten 18. und der Fließbandfertigung im frühen 20. Jahrhundert. Es ist dabei eine Revolution, die jenen fundamentalen Charakter der Industriewirtschaft infrage stellt, der rund 200 Jahre die Welt beherrschte: die ökonomischen Größenvorteile. Denn ein Maschinenpark der traditionellen Art ist vorhanden und fixiert; die Arbeit findet „an ihm“ statt, und seine Veränderung ist in
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