Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder
gleichgültig in welche Richtung sie zielen.
Eigentlich ist diese Situation der Unsicherheit, was Prognosen oder Szenarien betrifft, ihrem Wesen nach symmetrisch. Tief pessimistisch-düstere und tief optimistisch-heitere Prognosen sollten sich vom intellektuellen Angebot her die Waage halten. Dem ist aber nicht so – zumindest in einer Gesellschaft, die zum Idealismus neigt. Denn die Nachfrage nach dem Negativen ist viel stärker, weil sie eben die Grundlage für einen akuten Handlungsbedarf schafft, den der Idealismus sucht. Dies hat weitreichende Konsequenzen: Jene Wissenschaften, die zu nüchterner Abwägung neigen – allen voran die Wirtschaftswissenschaft –, ziehen sich eher aus dieser Diskussion zurück, weil die Nachfrage für ihre Sicht nicht sonderlich groß ist. Auch innerhalb der verschiedenen Wissenschaftszweige gibt es eine Art „selection bias“: Jene Forscher, die zu einer eher pessimistisch-düsteren Sichtweise neigen, haben einen größeren Anreiz, sich zu Wort zu melden, als die Vertreter einer optimistischeren Sicht. Diese widmen sich anderen Themen, die weniger politisiert sind und sich für apokalyptische Szenarien weniger eignen. Denn wer lässt sich schon gerne öffentlich als Zyniker abstempeln?
Deutscher Sonderweg:
Hat sich unsere Staatsphilosophie verändert?
Im September 1989, zwei Monate vor dem Mauerfall, wurde die Bundesrepublik Deutschland 40 Jahre alt. Im Vorgriff auf dieses Ereignis erschienen viele historische Schriften, die diesen Staat und seine Geschichte, Politik und Philosophie einzuordnen suchten. Das Ergebnis war dabei recht eindeutig: Dieser deutsche Staat – wenn man so will, die rheinische Republik – war nicht nur außen- und sicherheitspolitisch fest im Westen verankert; er hatte auch geistig längst die Züge westlicher Demokratien angenommen. Er fand sein inneres Gleichgewicht in den vielen kleinen Kompromisshändeln, die der Interessenausgleich in modernen Gesellschaften erfordert. Er bewegte sich in einer Art permanenten Suche nach pragmatischer Verbesserung, ein ewiges „trial and error“.
Helmut Schmidt war der einzige deutsche Kanzler, der in seiner Amtszeit diese Politik auch explizit weltanschaulich begründete. Er bekannte sich zum Kritischen Rationalismus eines Karl Popper mit dessen Plädoyer für „piecemeal engineering“ statt staatlicher Großexperimente. Andere Spitzenpolitiker vor ihm und nach ihm, ob Christdemokraten, Liberale oder Sozialdemokraten, verzichteten zwar auf philosophische Selbstreflexionen, aber sie sahen die Dinge im Wesentlichen genauso. Jedenfalls handelten sie danach, zusammen mit einem breiten politischen Establishment, das gleichfalls dem Pragmatismus zuneigte.
Diese dominante Staatsphilosophie machte die Bundesrepublik Deutschland zu einem überaus stabilen, aber auch ein wenig langweiligen Land. Es fehlte jenes Feuer an Idealismus und Romantik, für das der deutsche Geist und das deutsche Gemüt weltberühmt geworden waren. Grandiose ganzheitliche Entwürfe, das Markenzeichen deutscher Kreativität, fehlten völlig. Nichts von Beethoven und Wagner, nichts von Hegel und Fichte, kein Sozialismus von Marx, kein Nihilismus von Nietzsche, keine Untergangsvisionen von Spengler wie noch in der unglücklichen, aber kulturell höchst fruchtbaren Weimarer Republik. Lediglich in den Kämpfen der späten 1970er- und frühen 1980er-Jahre um Atomkraft und Nachrüstung blitzte auf der politischen Linken das Visionäre auf, aber die pragmatische Babyboomer-Generation ging dann doch schnell wieder zur nüchternen Tagesordnung über. Obendrein kam dann noch die Deutsche Einheit: Sie band die Kräfte der Nation in einer überaus bodenständigen Aufgabe, dem Aufbau Ost. Und sie erweiterte die Bevölkerung des freien Deutschland um 16 Millionen Menschen, die nach 40 Jahren sozialistischen Experimenten noch viel pragmatischer eingestellt waren als die über 60 Millionen im Westen.
Kurzum: Der Pragmatismus schien auf breiter Front zu siegen, und zwar endgültig. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass genau zu dieser Zeit eine neue ganzheitliche Vision die Gesellschaft zunehmend in den Bann schlug: der Kampf gegen den Klimawandel. Der Weg zu einer Welt der erneuerbaren Energien wurde zum Leitstern der Politik, der ökologische „Umbau der Gesellschaft“ zu einer dringenden Notwendigkeit, um die Menschheit zu retten. Zugegeben, das Thema begann weltweit eine enorme Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, dank neuer wissenschaftlicher
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