Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder
Transportwesen und professionellen Dienstleistungen, Verbesserung der Justiz, Schaffung eines landesweiten Katasters, Bekämpfung der Korruption auf allen Ebenen, Entbürokratisierung des Handels sowie Reform des Bildungssystems und der Wissenschaftsförderung. Kurzum: ein Mammutprogramm. Es erinnert an jene gigantische Agenda, die nach dem Fall des Eisernen Vorhangs im postsozialistischen Mittel- und Osteuropa sowie in Ostdeutschland abgearbeitet werden musste, um überhaupt erst den Ordnungsrahmen für eine funktionierende Marktwirtschaft herzustellen.
Tatsächlich gleicht Griechenland im marktwirtschaftlichen Europa einer sozialistischen Sonderzone, allerdings ohne systematische Planwirtschaft und ohne die rigide Abschottung vom Weltmarkt, die für die Welt des Sowjetsozialismus üblich war. Immerhin ist Griechenland seit über 30 Jahren Mitglied jenes europaweiten Freihandelsraums, den früher die Europäische Gemeinschaft garantierte und heute die Europäische Union gewährleistet. Griechenland wurde 1981 die zehnte Nation der Gemeinschaft. Im Rückblick ist es fast schon ein „Altmitglied“, also ein Teil des traditionellen europäischen Establishments.
Genau diese Tatsache stimmt allerdings sehr nachdenklich. Offenbar konnte das Land 30 Jahre lang als geachtetes Mitglied des exklusiven europäischen Klubs seine völlig maroden Strukturen der Justiz, Verwaltung und Wirtschaft einfach beibehalten oder sogar noch in die falsche Richtung erweitern und ausbauen, völlig unbehelligt von lästigen Rückfragen aus Brüssel. Nirgends entstand ein substanzieller europaweiter Reformdruck, der die griechische Politik hätte veranlassen können, einen ernsthaften Versuch zu unternehmen, das Land zu modernisieren. Zeit genug war da, und es fällt schwer, zu glauben, dass die griechischen Missstände in den Hauptstädten Europas nicht zumindest in ihren Grundzügen und Dimensionen bekannt waren.
Ganz offensichtlich fehlte es in Europa am politischen Willen, etwas zu unternehmen. Und vielleicht fehlte auch die Fantasie sich vorzustellen, wie dramatisch die Konsequenzen sein könnten, wenn ein Land mit derart maroden Strukturen dann tatsächlich einmal in eine Schuldenkrise geraten sollte. Sonst wäre kaum zu erklären, warum Griechenland schließlich 1999 auch noch zum Mitglied der Eurozone befördert wurde – sicherlich auf der Grundlage staatlich manipulierter Statistiken, aber auch wegen des bequemen Wunsches, sich nicht in innere Angelegenheiten einer einzelnen Nation einzumischen.
Die Krise Griechenlands – egal wie sie ausgeht – ist deshalb eine Chance. Sie weist der griechischen Nation den einzigen Weg, doch noch ein modernes Industrieland zu werden, statt als billiger korrupter Hinterhof Europas auszubluten. Und sie liefert der Europäischen Union einen Spiegel, in dem sie ihr eigenes Versagen der Vergangenheit erkennen kann. Für die Zukunft bedarf es aber einer wachen europaweiten politischen Öffentlichkeit, die nationale Fehlentwicklungen frühzeitig identifiziert und anprangert. Entsteht diese Öffentlichkeit durch die Krise, könnte sich die Causa Graeca auf Dauer doch noch gelohnt haben.
Es geht aber letztlich um noch viel mehr. Denn klar ist, dass nach dieser deflationären Reformwelle eine einfache Rückkehr zu den früheren Wachstumsmustern nicht möglich ist. Soll es in der Zukunft einen neuen Anlauf zur Konvergenz geben, so muss der aus der Kraft jener Industrien und Dienstleistungen kommen, die nachhaltig für den Weltmarkt produzieren. Und soll es wirklich zur erstrebten Konvergenz kommen, muss die durchschnittliche Wertschöpfung pro Beschäftigten sich dem annähern, was im westlichen Zentrum Europas die Norm ist. Voraussetzung dafür ist aber nicht nur ein entsprechend moderner Kapitalbestand, sondern vor allem auch eine Produktpalette, deren Innovationsgrad auf das deutsche, österreichische oder Schweizer Niveau aufschließt. Wie sind die Chancen, dass es dazu kommt?
Diese Frage zu beantworten ist enorm schwierig, weil es für die künftige Innovationskraft einer Volkswirtschaft natürlich keine verlässlichen Indikatoren gibt. Man muss sich behelfen mit aktuellen Maßzahlen zur Forschungsintensität der Produktion. 136 Die obigen beiden Schaubilder präsentieren zwei Statistiken dieser Art für einige Länder der Europäischen Union: Schaubild 18 zeigt für 2010 den Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F&E) an der Wertschöpfung, Schaubild 19 für 2009 die
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