Volle Drehzahl: Mit Haltung an die Spitze (German Edition)
habe ich gestern den Herrgott gefragt, ob wir noch gewinnen können. Und er antwortete mir: Mein Sohn, warum zweifelst du?« Das anfängliche Raunen im Saal ging in Gelächter über, dann in einen tosenden Applaus. Meine emotionale, aus dem Bauch heraus gebrüllte Rede war in den Herzen der Zuhörer angekommen und ich wurde gefeiert für meine aufrüttelnden Worte. Ich erntete sehr viel positive Resonanz, besonders in Erinnerung aber ist mir dieser eine Satz von Parteichef Franz Müntefering geblieben: »Wenn du noch zehn Minuten weitergemacht hättest, hätten sie dich zum neuen Parteivorsitzenden gewählt!«
Nicht weniger stolz machte mich ein paar Monate später eine Studie des Centrums für angewandte Politikforschung der Universität München, in der mir bescheinigt wurde, den Sonderparteitag der SPD zu einem besonderen Tag gemacht zu haben. »Dass die Dramaturgie eines solchen professionell aufgeplanten Ereignisses nicht bis ins letzte Detail steuerbar ist, hat sich auch dieses Mal bestätigt. Eine einzelne Rede kann die Stimmung unter den Delegierten umdrehen, so wie der begeistert aufgenommene Beitrag des Porsche-Betriebsratsvorsitzenden Hück. Aber auch der Kanzler überraschte die Beobachter mit seiner kämpferischen Rede. Der Applaus für den Redner ist jedoch ein flüchtiger Stimmungsindikator. Die Wahlkämpfer mögen fürs erste neuen Mut geschöpft haben, aber das Strategiedilemma bleibt ungelöst: Wie kann die Popularität von Schröder in Unterstützung für die SPD umgemünzt werden?«
Diese Frage der Wissenschaftler wurde am 18. September 2005 beantwortet, knapp aber ernüchternd. Der große Kampfvon Gerhard Schröder nach sieben Jahren an der Macht war vorbei. Nach der knappen Niederlage bei den vorgezogenen Bundestagwahlen gab der Bundeskanzler am 11. Oktober bekannt, einer neuen Regierung nicht mehr angehören zu wollen. Schröders Ende war der Beginn der Ära Merkel, eine Zeit, mit der ich wenig Positives verbinde. Meinem Ausflug in die Politik verdankte ich viele wichtige Erfahrungen, doch er war fürs erste beendet. Geblieben ist meine Freundschaft zu Gerhard Schröder, was mich jedoch ein Jahr später nicht daran hinderte, den Altkanzler scharf zu kritisieren. In seiner Aufarbeitung der vorgezogenen Bundestagswahl hatte Gerhard die Gewerkschaften als eine der Ursachen für das Scheitern von Rot-Grün ausgemacht und damit eine Tradition der SPD aufleben lassen. Schon die Niederlagen von Willy Brandt und Helmut Schmidt waren den Gewerkschaften zugeschrieben worden, damals wie heute ein eklatanter Fehler. Schon ein Jahr nach dem Scheitern veröffentlichte Schröder seine Autobiografie und zeigte sich darin nicht immer als fairer Verlierer. Er teilte vor allem gegen DGB-Chef Michael Sommer, IG Metall-Chef Jürgen Peters und ver.di-Chef Frank Bsirske aus. Von einem durch diese Gewerkschaftsführer systematisch herbeigeführten Sturz seiner Person schrieb mein Freund Gerhard in seinen umstrittenen Memoiren. Es passt überhaupt nicht in das Bild des Realisten Schröder, aber ich glaube, er hat in diesem Moment die Vergangenheit verklärt, um die Gegenwart erträglicher zu machen.
»Vergangenheit malt mit goldenem Pinsel«, lautet ein Sprichwort in der Heimat meiner Frau. Natürlich hatte es einen Linksruck in den Gewerkschaften gegeben, viele Funktionäre machten keinen Hehl aus ihrer Einschätzung, bei Gysi und Lafontaine besser aufgehoben zu sein. Opel-Betriebsrat Rainer Einenkel und viele andere prominente Gewerkschafterhatten den Aufruf »Wir wählen links« unterschrieben und damit eine Richtung weg von Schröder vorgegeben. Trotzdem konnte sich die SPD im Wahlkampf 2005 immer einer breiten Unterstützung durch die Gewerkschaften sicher sein und deshalb hielt ich Schröders Einlassung für falsch. »Das finde ich nicht gut, ich weiß nicht, was er damit bezweckt«, sagte ich im Morgenmagazin des ZDF. Unter Freunden musste diese Kritik erlaubt sein.
Heute hat Schröder längst eingesehen, dass er damals mit seiner Gewerkschaftsschelte überzogen hat. Auch, dass er am Wahlabend nicht den besten Eindruck hinterlassen hat, als er Angela Merkel im Fernsehstudio attackierte und brüskierte. Es war kein gutes Ende. Die sieben Jahre von Gerhard Schröder als Bundeskanzler sind bei mir dennoch in guter Erinnerung geblieben, nicht nur weil ich zum erlauchten Kreis der frogs gehörte, den friends of Gerhard Schröder . Ein Journalist, der während des gemeinsamen Wahlkampfs über diese Freundschaft
Weitere Kostenlose Bücher