Vollendet - Der Aufstand (German Edition)
das ja auch nur normal, oder?«
»Mir gefällst du als Mann der Tat besser.«
»Auch Taten müssen gut überlegt sein. Das hast du mir selbst beigebracht.«
Risa seufzt. »Ja, stimmt schon. Und ich habe ein Monster geschaffen.«
Ihr ist natürlich klar, dass die Revolte im Happy Jack Ernte-Camp sie beide tief verändert hat. Risa stellt sich gern vor, dass sie bei der Explosion miteinander verschmolzen sind wie Eisen im Hochofen, aber manchmal überwiegt das Gefühl, dass die brutale Hitze nur Verletzungen hinterlassen hat. Trotzdem ist sie froh, dass sie überlebt hat und die weitreichenden Folgen, die jener Tag nach sich zog, miterleben konnte. Zum Beispiel das »U-17«. Noch vor den Ereignissen im Happy Jack war vor dem Kongress ein Gesetzentwurf eingebracht worden, der die Herabsetzung der Altersgrenze für die Umwandlung um ein Jahr vorsah, also auf den siebzehnten statt auf den achtzehnten Geburtstag. Niemand hatte erwartet, dass die Gesetzesvorlage durchgehen würde, ja, viele hatten nicht einmal davon gewusst, bevor das Happy Jack in die Schlagzeilen kam und Lev Calders Gesicht sämtliche Titelseiten in Amerika zierte: ein unschuldiger Junge, ganz in Weiß, der allen adrett und freundlich und mit glänzenden Augen von einem Schulfoto entgegenlächelte. Die Frage, wie aus diesem perfekten Kind ein Klatscher geworden war, beschäftigte Eltern landauf, landab. Wenn Lev so etwas passieren konnte, konnten sie doch nicht ausschließen, dass auch ihr Kind eines Tages sein Blut mit Sprengstoff versetzen und sich voller Wut in die Luft sprengen würde. Dass sich Lev am Ende gegen die Explosion entschieden hatte, beunruhigte die Menschen noch mehr, denn so konnten sie ihn nicht einfach als schwarzes Schaf abstempeln. Sie mussten einsehen, dass er eine Seele, ein Gewissen hatte und dass die Gesellschaft möglicherweise ihren Teil zu seinem Werdegang beigetragen hatte. Als dann das U-17-Gesetz den Kongress passierte, beruhigte es das schlechte Gewissen der Bevölkerung. Nach dem siebzehnten Geburtstag durfte fortan niemand mehr umgewandelt werden.
»Du denkst wieder an Lev, stimmt’s?«, fragt Connor.
»Woher weißt du das?«
»Weil dann die Zeit stehen bleibt und deine Augen zur dunklen Seite des Mondes wandern.«
Sie stupst seine Hände an, da er aufgehört hat, ihr die Beine zu massieren, und er macht weiter.
»Wegen ihm wurde das U-17 verabschiedet«, sagt Risa. »Ich frage mich, was er davon hält.«
»Ich wette, er hat Albträume.«
»Oder er sieht es von der guten Seite.«
»Siehst du es denn so?«, fragt Connor.
Risa seufzt. »Manchmal schon.«
U-17 war gut gemeint, doch schnell wurde klar, dass es nicht gut gemacht war. Natürlich herrschte Jubelstimmung, als in den Nachrichten am nächsten Morgen die Entlassung Tausender von Siebzehnjährigen aus den Ernte-Camps gezeigt wurde. Es war ein Sieg des menschlichen Mitleids, ein Triumph für die Umwandlungsgegner. Doch genau aus diesem Triumphgefühl heraus verschlossen die Leute die Augen vor dem Gesamtproblem. Die Umwandlung war zwar noch da, aber sie konnten wieder wegsehen und sich ein reines Gewissen einreden.
Dann folgte eine Medienschlacht, eine Flut von Werbekampagnen, die die Bevölkerung daran »erinnerte«, wie viel »besser« seit dem Umwandlungsabkommen alles war. »Umwandlung: die natürliche Lösung«, hieß es in der Werbung, oder: »Gestörte Teenager? Wenn Sie sie lieben, lassen Sie sie gehen.« Und natürlich Risas absoluter Favorit: »Erleben Sie eine Welt außerhalb Ihrer selbst: Tauchen Sie ein in den geteilten Zustand.«
Risa musste eine traurige Wahrheit erkennen: Die Menschen glauben, was ihnen erzählt wird. Vielleicht nicht gleich beim ersten Mal, aber spätestens beim hundertsten Mal wird auch aus der verrücktesten Idee eine unverrückbare Tatsache.
Was sie zu Connors Frage zurückbringt: Wenn seit dem U-17 zu wenige Wandler im System sind und die Öffentlichkeit es gewohnt ist, dass es ausreichend gibt und man immer jeden Körperteil bekommt, wenn man ihn braucht, warum wurde der Friedhof dann noch nicht hochgenommen? Warum sind sie noch hier?
»Wir sind hier, weil wir hier sind«, sagt Risa. »Und wir sollten dankbar dafür sein, solange es so ist.« Dann berührt sie ihn sanft an der Schulter, damit er mit der Massage aufhört. »Ich muss zurück zum Sanitätsflieger. Da warten bestimmt schon eine Menge Kratzer, blaue Augen und fiebrige Erkältungen, um die ich mich kümmern muss. Danke, Connor.« Obwohl er sie nun
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