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Vollendet (German Edition)

Vollendet (German Edition)

Titel: Vollendet (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Shusterman
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Dichtung von Wahrheit unterscheiden kann. Er heißt Dalton. Dalton ist siebzehn, klein und untersetzt, und er hat wildes, widerspenstiges Haar. Ihm kann Connor erzählen, was ihm an jenem Tag, an dem er zum Flüchtling wurde, wirklich geschehen ist. Es ist eine Erleichterung, dass ihm mal jemand glaubt. Dalton hat seine ganz eigene Meinung zu all dem.
    »Auch wenn das schon die komplette Geschichte ist«, sagt er, »macht es trotzdem Eindruck. Es ist genau das, was wir alle gern getan hätten.«
    Das sieht Connor ein.
    »Du bist sozusagen der König der Wandler hier«, fährt Dalton fort, »aber Leute wie du werden schnell umgewandelt, also pass auf dich auf.« Dalton sieht ihn lange an. »Hast du Angst?«
    Connor wünschte, er könnte etwas anderes sagen, aber er will nicht lügen. »Ja.«
    Dalton scheint fast erleichtert zu sein. »In der Gruppensitzung erzählen sie uns, die Angst ließe nach und wir würden es schließlich akzeptieren. Ich bin schon fast sechs Monate hier, aber ich habe noch genauso viel Angst wie am ersten Tag.«
    »Sechs Monate? Ich dachte, jeder ist nur ein paar Wochen hier.«
    Dalton beugt sich nah zu ihm heran und flüstert, als sei es eine gefährliche Information: »Nicht, wenn du in der Band bist.«
    Band? Der Gedanke, dass es an einem Ort, an dem das Leben verstummt, Musik gibt, behagt Connor überhaupt nicht.
    »Sie setzen uns aufs Dach des Schlachthauses und lassen uns spielen, wenn sie die Leute reinbringen«, sagt Dalton. »Wir spielen alles: Klassik, Pop, Old World Rock. Ich bin der beste Bassist, den sie hier je hatten.« Und dann grinst er. »Du kannst ja morgen mal kommen und zuhören. Wir haben gerade eine neue Keyboarderin gekriegt. Die ist echt heiß.«
    Volleyball am Morgen. Connors erste offizielle Aktivität. Mehrere Angestellte im bunten Blumenhemd stehen mit Klemmbrettern am Spielfeldrand, weil das Volleyballfeld offenbar nicht mit zwölf Einzelkameras ausgestattet ist. Hinter ihnen, auf dem Dach des Schlachthauses, erklingt Musik. Daltons Band. Der Soundtrack für den Vormittag.
    Als die Spieler des gegnerischen Teams Connor sehen, wirken sie, als hätte jemand die Luft aus ihnen gelassen – als besiegelte seine bloße Anwesenheit schon ihre Niederlage. Es spielt keine Rolle, dass Connor in Volleyball eine Niete ist – für sie ist der Flüchtling aus Akron der Star eines jeden Spielfelds. Abgesehen von Roland. Er knickt nicht ein wie seine Teamkollegen, sondern wartet, den Volleyball in der Hand, auf den Aufschlag, bereit, ihn Connor ins Gesicht zu knallen.
    Das Spiel beginnt. Die Intensität der Spielzüge findet ihre Entsprechung in der unterschwelligen Angst, die bei jeder Ballberührung mitschwingt. Beide Mannschaften spielen, als wartete auf die Verlierer die sofortige Umwandlung. Von Dalton weiß Connor, dass das nicht stimmt, dass es aber auch nicht gerade hilfreich ist, wenn man verliert. Connor fühlt sich an Pokatok erinnert, ein Spiel der Mayas, von dem er in Geschichte gehört hat. Das Spiel lief ähnlich wie Basketball, nur dass die Verlierer den Maya-Göttern geopfert wurden. Damals fand Connor das cool.
    Roland verschlägt den Ball, der einen Angestellten im Gesicht trifft. Roland grinst, ehe er sich entschuldigt. Der Mann wirft ihm einen bösen Blick zu und macht eine Notiz auf seinem Klemmbrett. Connor fragt sich, ob Roland das womöglich ein paar Tage kostet.
    Dann, plötzlich, bricht das Spiel ab, weil alle Blicke zu einer Gruppe von Jugendlichen in Weiß wandern, die auf der gegenüberliegenden Seite über den Hof gehen.
    »Das sind Zehntopfer«, erklärt ein Junge Connor. »Du weißt, was das ist, oder?«
    Connor nickt. »Ja.«
    »Guck sie dir nur an. Die glauben, sie sind was Besseres.«
    Connor hat bereits gehört, dass Zehntopfer anders behandelt werden als die anderen. »Die Zehnten« und »Die Schrecklichen«, so nennt das Personal die beiden Gruppen von Wandlern. Die Zehnten beteiligen sich nicht an den Aktivitäten der Schrecklichen. Sie tragen auch keine blauen oder rosa Uniformen. Das Weiß ihrer Seidenkleider leuchtet in der Sonne von Arizona so grell, dass man die Augen zusammenkneifen muss, wenn man sie ansieht. Jugendliche Kopien Gottes – obwohl sie für Connor eher aussehen wie ein Trupp Außerirdischer. Die Schrecklichen hassen die Zehnten, wie einfache Bauern den Landadel verachteten. Connor mag es einst ge-nauso gegangen sein, doch nachdem er einen von ihnen kennengelernt hat, tun sie ihm nur noch leid.
    »Ich habe gehört,

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