Vollendet (German Edition)
sie kennen das genaue Datum und die Uhrzeit ihrer Umwandlung«, sagt einer.
»Ich habe gehört, sie suchen es sich sogar selber aus«, sagt ein anderer.
Der Schiedsrichter pfeift. »Los, kommt schon, das Spiel geht weiter.«
Sie wenden sich von den blendend weißen Uniformen der Erwählten ab und überziehen das Spiel mit einer weiteren Schicht Frust.
Einen kurzen Moment lang, ehe die Zehnten hinter einem Hügel verschwinden, meint Connor ein Gesicht zu erkennen. Aber das muss er sich eingebildet haben.
54. Lev
Connor hat es sich nicht eingebildet.
Levi Jedediah Calder ist einer der erwählten Gäste im Happy Jack Ernte-Camp, und er trägt wieder das Weiß der Zehntopfer. Er hat Connor auf dem Volleyballfeld nicht gesehen, weil die Zehnten strenge Anweisung haben, die Schrecklichen nicht zu beachten. Warum sollten sie auch? Von Geburt an hat man ihnen eingeredet, sie gehörten einer anderen Kaste an, seien zu Höherem berufen.
Die Reste des Sonnenbrandes sind zwar noch zu sehen, aber das Haar ist jetzt kurz und ordentlich, genau wie früher, und sein Auftreten ist gemessen und sanft. Zumindest nach außen.
In dreizehn Tagen ist seine Umwandlung angesetzt.
55. Risa
Sie spielt auf dem Dach des Schlachthauses, und ihre Musik weht über die Spielfelder bis in die Ohren der mehr als tausend Seelen, die darauf warten, unters Messer zu kommen. Die Freude darüber, wieder Tasten unter ihren Fingern zu spüren, ist ebenso groß wie das Entsetzen über das, was unter ihren Füßen vor sich geht.
Vom Dach aus kann sie sehen, wenn die Wandler über einen dunkelroten Plattenweg geführt werden, den die Kinder den »roten Teppich« nennen. Die Kids, die über ihn gehen, werden von Wachleuten flankiert, die sie am Oberarm festhalten, allerdings nicht so fest, dass blaue Flecken zurückbleiben.
Trotzdem musizieren Dalton und der Rest der Band, als spielte das alles keine Rolle.
»Wie schafft ihr das nur?«, fragt Risa in einer Pause. »Wie schafft ihr es, Tag für Tag zuzusehen, wie sie da reingehen und nicht wieder rauskommen?«
»Du gewöhnst dich daran«, sagt der Schlagzeuger und trinkt einen Schluck Wasser. »Du wirst schon sehen.«
»Niemals!« Risa denkt an Connor. Er hat keinen Aufschub wie sie. Er hat keine Chance. »Ich will kein Komplize sein bei dem, was sie da tun.«
»Hey«, sagt Dalton, dem so langsam der Geduldsfaden reißt. »Hier geht es ums Überleben, und wir tun, was wir tun müssen, um zu überleben! Die haben dich ausgewählt, weil du spielen kannst, und du bist gut. Wirf das nicht weg. Entweder gewöhnst du dich daran, dass die anderen über den roten Teppich marschieren, oder du bist bald selbst eine von ihnen, und wir müssen für dich spielen.«
Obwohl Risa versteht, was er meint, will sie sich nicht einfach so damit abfinden. »Was ist eigentlich mit eurem letzten Keyboarder passiert?« Die Frage kommt nicht besonders gut an. Sie drucksen herum. Schließlich antwortet der Sänger: »Jack wäre bald achtzehn geworden. Sie haben ihn eine Woche vor seinem Geburtstag mitgenommen.«
»Er war kein besonders glücklicher Jack«, sagt der Schlagzeuger und schlägt auf den Rand seiner Trommel.
»Das war’s?«, fragt Risa. »Sie haben ihn einfach so mit genommen?«
»Geschäft ist Geschäft«, antwortet der Sänger. »Denen geht eine Menge Geld durch die Lappen, wenn einer von uns achtzehn wird, denn dann müssen sie uns gehen lassen.«
»Ich für meinen Teil habe einen Plan«, sagt Dalton und zwinkert den anderen zu, die offenbar schon eingeweiht sind. »Wenn die mich kurz vor meinem achtzehnten Geburtstag abholen wollen, springe ich vom Dach.«
»Du willst dich umbringen?«
»Ich hoffe nicht – es sind ja nur zwei Stockwerke. Aber wenn ich unten ankomme, bin ich bestimmt übel zugerichtet. In dem Zustand können sie einen nicht umwandeln, verstehst du? Sie müssen warten, bis man wieder gesund ist. Bis dahin bin ich achtzehn, und sie sind am Arsch!« Er klatscht den Schlagzeuger ab, und sie lachen. Risa kann sie nur ungläubig anstarren.
»Ich zähle darauf, dass die Volljährigkeit auf siebzehn gesenkt wird«, sagt der Sänger. »Wenn das passiert, spucke ich jedem Mitarbeiter, Betreuer und Arzt hier einzeln ins Gesicht, und die können nichts dagegen ausrichten, wenn ich auf meinen eigenen zwei Beinen durch das Tor marschiere.«
Da nimmt der Gitarrist, der den ganzen Vormittag noch kein Wort gesagt hat, sein Instrument zur Hand.
»Das ist für Jack«, sagt er und spielt die ersten
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