Vollendet (German Edition)
dann hier sein?«, fragt Blaine.
»Ich weiß nur, was ich gesehen habe. Ich glaube sogar, da sind noch mehr. Was ist, wenn sie uns erkennen?«
Blaine und Mai sehen Lev erwartungsvoll an, der ihnen prompt eine Erklärung liefert: »Das müssen welche sein, die einen Job übernommen haben und erwischt worden sind.«
Mai entspannt sich. »Ja. Klar, so muss es sein.«
»Wenn sie uns erkennen«, sagt Blaine, »sagen wir einfach, uns ist dasselbe passiert.«
»Da haben wir’s«, sagt Lev. »Problem gelöst.«
»Gut«, sagt Blaine. »Dann machen wir mal weiter. Also … ich glaube, wir sollten es übermorgen tun. Für den Tag danach bin ich für ein Footballspiel eingeteilt, das kommt bestimmt nicht so toll.«
Dann gibt er Mai und Lev jeweils zwei der kleinen Pflaster.
»Wofür brauchen wir die?«, fragt Mai.
»Man hat mir gesagt, ich soll sie euch geben, wenn wir hier sind.« Blaine nimmt eins zwischen zwei Finger und wedelt damit hin und her. »Das sind keine Pflaster«, sagt er. »Das sind Zünder.«
Den Job an der Pipeline in Alaska hat es nie gegeben. Warum sollte sich ein Wandler auch freiwillig für so etwas melden? Es ging nur darum, dass es außer Lev, Mai und Blaine keine Freiwilligen gibt. Der Van brachte sie vom Friedhof in ein verkommenes Haus in einem verkommenen Stadtviertel, in dem verkommene Typen schreckliche Taten ausheckten.
Obwohl Lev eine Heidenangst vor diesen Leuten hatte, fühlte er sich ihnen nahe. Sie konnten nachvollziehen, wie es war, vom Leben verraten worden zu sein. Sie wussten, wie es war, nur Leere in sich zu haben. Und als sie Lev erklärten, welche Rolle er für ihre Pläne spielte, hatte er zum ersten Mal seit langem das Gefühl, wirklich wichtig zu sein.
Das Wort »böse« kam im Sprachschatz dieser Leute nicht vor – außer als Bezeichnung für das, was die Welt ihnen angetan hatte. Was sie von Lev, Mai und Blaine wollten, war nicht böse – nein, überhaupt nicht. Es war nur ein Spiegelbild dessen, was sie in sich fühlten. Es war der Geist, das Wesen, der Ausdruck dessen, was aus ihnen geworden war. Sie waren nicht nur Boten, sie waren die Botschaft. Damit füllten sie Levs Kopf, und wie der tödliche Stoff, mit dem sie sein Blut anreicherten, war es unmoralisch. Es war unrecht. Nichtsdestotrotz kam es Lev gelegen.
»Wir haben kein Ziel, wir wollen nur Chaos«, hat Cleaver immer gern gesagt. Doch eines hat Cleaver nicht begriffen, nicht einmal am Ende seines Lebens: Chaos kann ein ebenso verlockendes Ziel sein wie jedes andere. Wer das Pech hat, im Namen des Chaos getauft zu sein und nur in seinem stinkenden Wasser Trost zu finden, für den kann es sogar zur Religion werden.
Lev weiß nichts von Cleavers Schicksal. Er weiß nicht, dass er benutzt wird, aber es wäre ihm auch egal. Lev weiß nur, dass die Welt bald eine Ahnung bekommen wird von dem Verlust, der Leere und der völligen Desillusionierung, die er in sich spürt. Und zwar in dem Moment, in dem er die Hände zum Applaus hebt.
58. Connor
Connor bringt das Frühstück hinter sich, so schnell er kann. Er ist nicht etwa hungrig, sondern er hat Pläne. Risas Frühstückszeit ist vor seiner. Wenn sie langsam isst und er schnell, können sich ihre Wege kreuzen, ohne dass es dem Personal in Happy Jack weiter auffällt.
Sie treffen sich auf der Mädchentoilette. Als sie sich das letzte Mal an einem solchen Ort verstecken mussten, hatten sie sich in getrennten Kabinen eingeschlossen. Jetzt teilen sie sich eine und halten einander fest in dem engen Raum, ohne nach einem Vorwand zu suchen. Sie haben in ihrem Leben keine Zeit mehr für Spielchen, keine Zeit, sich zu genieren oder Desinteresse vorzuschützen, und deshalb küssen sie sich, als hätten sie es schon immer getan. Als wäre es so wichtig wie der Sauerstoff zum Atmen.
Risa streichelt die blauen Flecken in seinem Gesicht und an seinem Hals, die er im Kampf mit Roland davongetragen hat. Auf ihre Frage, was passiert ist, antwortet er, es sei nicht weiter wichtig. Sie erklärt, sie könne nicht länger bleiben, weil Dalton und die anderen Bandmitglieder schon auf dem Dach des Schlachthauses auf sie warten.
»Ich habe dich spielen gehört«, sagt Connor. »Du bist fantastisch.«
Er küsst sie noch einmal. Sie sprechen nicht über die Umwandlung. In diesem Moment existiert sie gar nicht. Sie würden weitergehen als küssen, wenn sie könnten – aber nicht hier, nicht so. Obwohl sie es nie erleben werden, reicht Connor die Gewissheit, dass es an einem
Weitere Kostenlose Bücher