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Vollendet (German Edition)

Vollendet (German Edition)

Titel: Vollendet (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Shusterman
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Ernte-Camp«, sagt er. Risa hebt die Hand, um ihn wegzustoßen, aber er ist schneller und packt sie am Gelenk, bevor sie ihn schubsen kann. In diesem Augenblick merkt Risa, dass sie zu weit gegangen ist. Was weiß sie denn über diesen Jungen? Er sollte umgewandelt werden, und vielleicht aus gutem Grund.
    Risa achtet sorgfältig darauf, sich nicht zu wehren, denn das macht ihn überlegen, sondern legt alles Gewicht in ihre Stimme: »Lass mich los.«
    »Warum? Was genau, denkst du, werde ich dir tun?«
    »Du hast mich jetzt schon zum zweiten Mal ohne Erlaubnis angefasst«, sagt Risa. Er lässt immer noch nicht los, aber sein Griff ist nicht bedrohlich. Er ist nicht fest, sondern locker, nicht grob, sondern fast zärtlich. Sie könnte sich mit einer einfachen Drehung des Handgelenks daraus befreien. Warum tut sie es nicht?
    Er möchte damit etwas klarstellen. Aber was? Will er sie warnen, dass er ihr weh tun kann, wenn er will? Oder liegt seine Botschaft in seinem zarten Griff? Will er vielleicht sagen, dass er nicht der Typ ist, der anderen weh tut?
    Egal, denkt Risa. Auch eine zärtliche Vergewaltigung ist eine Vergewaltigung.
    Sie wirft einen Blick auf seine Beine. Mit einem gezielten Fußtritt könnte sie ihm die Kniescheibe zerschmettern.
    »Ich könnte dich innerhalb einer Sekunde ausschalten.«
    Wenn er Angst hat, zeigt er es nicht. »Ich weiß.«
    Irgendwie weiß er aber auch, dass sie es nicht tun wird. Vorhin war es ein instinktiver Reflex gewesen. Jetzt wäre es eine bewusste Handlung. Absicht.
    »Geh weg.« Ihre Stimme ist nicht mehr so kraftvoll wie noch wenige Augenblicke zuvor.
    Diesmal gehorcht er, lässt los und geht auf gebührenden Abstand zu ihr. Sie hätten einander weh tun können, aber beide haben es nicht getan. Risa weiß nicht, was das zu bedeuten hat, aber sie ist aus so vielen verschiedenen Gründen wütend auf Connor, die sie gar nicht auseinandersortieren kann.
    Eine Stimme unterbricht sie plötzlich: »Das ist ja alles sehr unterhaltsam, aber streiten hilft uns nicht weiter.«
    Lev. Der Schuss ist nach hinten losgegangen. Anstatt ihn mit einem gespielten Streit auf die Probe zu stellen, ist aus dem Spiel bitterer Ernst geworden, und dabei hat Risa Lev vollkommen vergessen. Er hätte einfach abhauen können, und sie hätten es erst bemerkt, wenn er längst über alle Berge gewesen wäre.
    Risa wirft Connor sicherheitshalber noch einen bösen Blick zu, und die drei gehen schweigend weiter. Erst zehn Minuten später, als Lev zum Pinkeln im Wald verschwindet und Risa und Connor einigermaßen ungestört sind, raunt er ihr zu: »Das war gut. Hat funktioniert.«
    »Was?«
    Connor kommt ein bisschen näher und flüstert: »Der Streit. Du hast ihn angezettelt, um zu sehen, ob Lev abhaut, wenn wir nicht aufpassen, oder?«
    Risa ist verblüfft. »Du hast es gewusst?«
    Connor schaut sie belustigt an. »Na ja … klar.«
    Wenn Risa sich zuvor schon nicht sicher war, was sie von ihm halten sollte, dann hat sie jetzt erst recht keine Ahnung. »Dann … dann war das alles nur Show?«
    Jetzt ist Connor verunsichert. »Dachte ich. Irgendwie schon. Oder nicht?«
    Risa muss ein Lächeln unterdrücken. Auf einmal fühlt sie sich merkwürdig wohl bei Connor. Wenn sie wirklich gestritten hätten, dann wäre sie jetzt auf der Hut vor ihm. Wenn alles nur gespielt gewesen wäre, auch, denn dann könnte er sehr überzeugend lügen, und sie würde ihm nie trauen können. Aber ihr Streit war eine Mischung aus beidem, echt und gespielt, und mit dieser Mischung fühlt sie sich sicher – wie Akrobaten, die ihre todesmutigen Kunststücke über einem Netz vorführen.
    Sie klammert sich an dieses unerwartete Gefühl, während Lev aus dem Gebüsch zurückkommt und die drei sich gemeinsam den Schrecken der Zivilisation nähern.

Teil zwei
Gestorcht
    »Du kannst Gesetze nicht ändern, ohne zuvor die Natur des Menschen zu ändern.«
    Schwester Greta
    »Du kannst die Natur des Menschen nicht ändern, ohne zuvor das Gesetz zu ändern.«
    Schwester Yvonne

9. Mutter
    Die Mutter ist neunzehn, aber sie fühlt sich nicht so. Sie fühlt sich nicht klüger und kann auch nicht besser mit dieser Situation umgehen als ein kleines Mädchen. Wann, fragt sie sich, hat sie aufgehört ein Kind zu sein? Nach dem Gesetz, als sie achtzehn wurde, aber was weiß das Gesetz schon über sie?
    Sie hat immer noch Schmerzen von der Entbindung und drückt das Neugeborene fest an sich. Es ist kurz nach Sonnenaufgang an einem kalten Morgen, und sie

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