Vollendet (German Edition)
Stöhnen und viel Gesabber. Der Junge und das Mädchen schauen ihn an. Jetzt töten sie ihn bestimmt. Sie haben ihn nur am Leben gelassen, damit er bei Bewusstsein ist, wenn sie ihn umbringen. Wahnsinnige verhalten sich so.
»Schau mal, wer aus dem Reich der Träume wieder da ist«, sagt der Junge mit dem wilden Blick. Aber sein Blick ist gar nicht mehr wild, nur seine Haare stehen vom Kopf ab, als hätte er darauf geschlafen.
Obwohl sich Levs Zunge anfühlt wie Gummi, bringt er wenigstens ein Wort heraus. »Wo …«
»Weiß nicht genau«, sagt der Junge.
Und dann fügt das Mädchen hinzu: »Aber wenigstens bist du in Sicherheit.«
In Sicherheit?, denkt Lev. Was soll an dieser Situation sicher sein?
»G…g…geisel?«, stößt Lev hervor.
Der Junge schaut das Mädchen an und dann wieder Lev. »Sozusagen. Wahrscheinlich.«
Die beiden reden mit ihm, als ob sie alle beste Freunde wären. Sie wollen mich einlullen und mir ein falsches Gefühl von Sicherheit geben . Sie wollen mich auf ihre Seite ziehen, damit ich mich an ihren kriminellen Machenschaften beteilige. Dafür gibt es ein Wort, nicht wahr? Wenn sich eine Geisel auf die Seite des Entführers schlägt? Das Soundso- Syndrom.
Der verrückte Typ sagt mit Blick auf ein Häufchen Beeren und Nüsse, die offenbar aus dem Wald stammen: »Hast du Hunger?«
Lev nickt, aber dadurch dreht sich in seinem Kopf alles, und ihm wird klar, dass er trotz seines Hungers lieber nichts essen sollte, weil alles wieder hochkommen würde. »Nein«, sagt er.
»Du klingst verwirrt«, sagt das Mädchen. »Keine Bange, das ist nur das Betäubungsmittel. Die Wirkung müsste bald ganz nachlassen.«
Stockholm-Syndrom! Das ist es! Nun, Lev wird sich nicht von diesem Entführerpaar auf ihre Seite ziehen lassen. Niemals wird er auf ihrer Seite sein.
Pastor Dan hat gesagt, ich soll weglaufen.
Was hat er damit gemeint? Dass er vor seinem Entführer weglaufen sollte? Vielleicht, aber er schien etwas ganz anderes im Sinn gehabt zu haben. Lev schließt die Augen und verscheucht den Gedanken.
»Meine Eltern werden nach mir suchen«, sagt Lev. Sein Mund ist endlich wieder in der Lage, ganze Sätze zu bilden.
Die beiden antworten nicht, denn sie wissen wahrscheinlich, dass er recht hat.
»Wie hoch ist das Lösegeld?«, fragt Lev.
»Lösegeld? Es gibt kein Lösegeld«, sagt der verrückte Junge. »Ich hab dich mitgenommen, um dich zu retten, Blödmann!«
Ihn zu retten? Lev schaut ihn ungläubig an. »Aber … ich bin doch ein Zehntopfer …«
Der Verrückte schüttelt den Kopf. »Ich habe noch nie jemanden gesehen, der es so eilig hat, umgewandelt zu werden.«
Es bringt nichts, diesem gottlosen Paar zu erklären, um was es beim Zehntopfer geht. Dass es die größte Gnade ist, sich selbst hinzugeben. Sie würden das niemals verstehen. Es wäre ihnen egal. Ihn retten? Sie haben ihn nicht gerettet, sondern der Verdammnis preisgegeben.
Dann hat Lev eine Idee, wie er diese ganze Situation zu seinem Vorteil nutzen kann. »Ich heiße Lev«, sagt er und versucht, möglichst unbeteiligt zu klingen.
»Freut mich, dich kennenzulernen, Lev«, antwortet das Mädchen. »Ich bin Risa, und das ist Connor.«
Connor wirft ihr einen bösen Blick zu. Sie hat also ihre richtigen Namen genannt. Nicht besonders schlau, aber die meisten Kriminellen sind ziemlich dumm.
»Ich wollte nicht, dass du das Betäubungsgeschoss abkriegst«, sagt Connor zu ihm. »Aber der Bulle war ein schlechter Schütze.«
»Nicht deine Schuld«, sagt Lev, obwohl alles Connors Schuld ist. Lev denkt darüber nach, was geschehen ist, und sagt: »Ich wäre niemals vor meinem Zehntopfergang weggelaufen.« Das zumindest entspricht der Wahrheit.
»Dann ist es ja gut, dass ich in der Nähe war.«
»Ja«, sagt Risa. »Wenn Connor nicht über die Autobahn gerannt wäre, wäre ich inzwischen wahrscheinlich auch umgewandelt.«
Einen Augenblick lang herrscht Schweigen, dann schluckt Lev seinen Zorn und seine Abscheu hinunter und sagt: »Danke. Danke, dass ihr mich gerettet habt.«
»Keine Ursache«, sagt Connor.
Gut. Lass sie denken, er wäre dankbar und sie könnten sein Vertrauen gewinnen. Und sobald sie sich in Sicherheit glauben, wird er dafür sorgen, dass sie bekommen, was sie verdienen.
7. Connor
Connor hätte die Pistole des JuPos behalten sollen, aber er hat nicht daran gedacht. Er war total erschrocken, dass er einen Polizisten mit seiner eigenen Betäubungspistole außer Gefecht gesetzt hatte, deshalb ließ er sie
Weitere Kostenlose Bücher