Vollendet (German Edition)
gerade zum Grübeln geeignet. Vielleicht hat Hayden deshalb das Bedürfnis zu reden.
»Meine Frage hat keiner von euch beantwortet. Anscheinend traut sich keiner.«
»Welche denn?«, fragt Connor. »Aus dir schießen die Fragen raus wie die Fürze an Thanksgiving.«
»Ich habe gefragt, ob die Umwandlung einen umbringt oder ob man irgendwie weiterlebt. Kommt schon – jeder von uns hat doch schon darüber nachgedacht.«
Emby sagt nichts. Der Husten und der bisherige Wortwechsel haben ihn offenbar geschwächt. Connor hat auch keine Lust zu antworten.
»Es kommt darauf an«, sagt schließlich Diego. »Hängt wohl davon ab, wo deine Seele ist, wenn du umgewandelt wirst.«
Normalerweise würde Connor so einem Gespräch aus dem Weg gehen. Sein Leben besteht aus greifbaren Dingen, Dingen, die man sehen, hören oder fühlen kann. Gott, die Seele und dergleichen, das war für Connor immer ein Rätsel, verborgen in einer schwarzen Kiste, in die man besser nicht hineinsieht. Es war einfacher, sich nicht damit zu befassen. Aber nun sitzt er selbst mitten in der schwarzen Kiste.
»Was glaubst du, Connor?«, fragt Hayden. »Was passiert mit deiner Seele, wenn du umgewandelt wirst?«
»Wer sagt, dass ich überhaupt eine habe?«
»Nehmen wir einfach mal an, du hast eine, nur um der Diskussion willen.«
»Wer sagt, dass ich diskutieren will?«
»Meine Güte! Gib ihm eine Antwort, sonst lässt er dich nie in Ruhe!«
Connor windet sich, aber aus der schwarzen Kiste gibt es kein Entkommen. »Woher soll ich denn wissen, was damit passiert? Vielleicht zerteilt sie sich in lauter kleine Stücke, wie der Rest von uns.«
»Aber so ist die Seele nicht«, sagt Diego. »Die Seele kann man nicht zerteilen.«
»Wenn man sie nicht zerteilen kann«, bohrt Hayden weiter, »dann dehnt sich die Seele eines Wandlers vielleicht zwischen den vielen Teilen an allen möglichen Orten wie ein riesiger Ballon. Poetischer Gedanke.«
Hayden mag die Idee poetisch finden, für Connor ist sie schrecklich. Er versucht sich vorzustellen, wie sein Geist gedehnt wird, bis er so dünn und lang ist, dass er rund um den Erdball reicht. Er sieht ein Netz vor sich, gespannt zwischen Tausenden von Menschen, die seine Hände erhalten haben, seine Augen und Teile seines Gehirns – Teile, die er alle nicht mehr kontrollieren kann, weil sie vom Körper und vom Willen anderer verschluckt werden. Kann Bewusstsein so existieren? Er denkt an den Lastwagenfahrer, der ihm mit der Hand eines Wandlers die Kartentricks gezeigt hat. Hat sich der Junge, dem die Hand einst gehörte, immer noch über diesen Trick gefreut? Ist sein Geist auf völlig unerklärliche Weise noch vollständig, obwohl sein Körper ausgeteilt worden ist wie ein Kartenspiel? Oder hat man ihn dermaßen zerrupft, dass von Bewusstsein keine Rede mehr sein kann, dass keinerlei Hoffnung besteht auf Himmel, Hölle oder sonst etwas, das ewig währt? Ob es eine Seele gibt, weiß Connor nicht. Aber das Bewusstsein gibt es, da ist er sich sicher. Wenn jeder Teil eines Wandlers noch am Leben ist, muss das Bewusstsein doch irgendwo sein, oder etwa nicht? Innerlich verflucht er Hayden, der diese Gedanken in ihm ausgelöst hat. Aber Hayden ist noch lange nicht fertig.
»Ich habe noch eine kleine Denkaufgabe für euch«, sagt er. »Zu Hause kannte ich ein Mädchen, die hatte so etwas an sich … der hat man einfach gern zugehört. Ich weiß nicht, ob sie wirklich so klug war oder einfach nur irre. Sie glaubt, wenn jemand umgewandelt wird, hat er sowieso keine Seele. Sie sagt, Gott muss wissen, wer umgewandelt wird, und so einem gibt er keine Seele.«
Diego schnaubt missbilligend. »Das gefällt mir überhaupt nicht.«
»Das Mädchen hat sich viele Gedanken gemacht. Sie meint, Wandler sind wie Ungeborene.«
»Moment mal.« Emby bricht endlich sein Schweigen. »Ungeborene haben aber eine Seele. Sie haben eine Seele ab dem Zeitpunkt, an dem sie gezeugt werden, so steht es im Gesetz.«
Connor will sich eigentlich nicht wieder mit Emby anlegen, aber er kann nicht anders. »Nur weil es im Gesetz steht, heißt das noch lange nicht, dass es stimmt.«
»Ja, aber nur weil es im Gesetz steht, heißt es auch noch lange nicht, dass es nicht stimmt. Es steht nur im Gesetz, weil jede Menge Leute darüber nachgedacht haben und zu dem Schluss gekommen sind, dass es so sein müsste.«
»Hm«, sagt Diego. »Der Maulbrüter hat nicht ganz unrecht.«
Für Connor ist das trotzdem zu wenig. »Man kann doch kein Gesetz
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