Volles Rohr
ich halte fest, wo sie herkommen.
Hummer sind einigermaßen mobil, mehr als Austern,
aber weniger als Fische. Sie bleiben im wesentlichen in einer bestimmten Zone des Hafens. Und dort tun sie
etwas, das für mich sehr praktisch ist: Sie reichern Stoffe an, die mit der Nahrung in ihren Organismus gelangen.
Am einen Ende fressen sie, am anderen scheißen sie's wieder aus, aber ein Teil bleibt drin, meistens der übelste.
Eine Spur von, sagen wir mal, PCBs in ihrer Umgebung zeigt sich an der wesentlich höheren PCB-Konzentration in ihrer Leber. Wenn ich also einen Hummer in die Hand kriege und analysiere, welche Toxine in seinem
Organismus sind, bekomme ich eine ziemlich genaue
Vorstellung davon, wie es auf dem Grund des Hafens so aussieht.
Dann gebe ich alle meine Daten in den Computer und
lasse mir eine Karte von ihm machen, die die Verteilung der Schadstoffe zeigt. Wenn ich zum Beispiel Basco in die Eier treten will, werde ich wahrscheinlich nach PCBs schauen. Also zeichnet der Computer erst mal das Land und malt es schwarz aus. Dann koloriert er das Wasser.
Er fängt draußen auf dem Atlantik an, der ein schönes Stahlblau kriegt. Man braucht nicht extra die Legende zu lesen, um zu wissen, daß dieses Wasser saub er ist. Wenn wir uns Boston nähern, werden die Farben zunehmend
wärmer. Der größte Teil des Hafens ist gelb. Da und dort sehen wir orangefarbene Kreise. Zur Mitte hin werden sie dunkler, bis sie an böse entzündete rote Furunkel
erinnern, die in Ufernähe Cluster bilden. Neben jedes Furunkel schreibe ich eine kurze Erläuterung:
»Hauptabflußrohr Basco.« - »Zwischenlager Basco.« -
»Grundstück Basco (EPA-Untersuchung läuft).« -
»Grundstück Basco -Tochter (EPA-Untersuchung läuft).«
Bring das auf ein Dia, nimm es mit zu einem Hearing, zieh die Vorhänge zu, projiziere es auf eine Leinwand -
und du hast ein absolut lynchbereites Publikum. Dann geht das Licht an, und ein brandneuer Basco-Lakai,
frisch von der B. U. oder von der Northeastern, tritt ans Rednerpult und beginnt von Tropfen in Kesselwagen zu sprechen. Worauf seine Firma von den Medien
geschlachtet wird.
An so was denke ich, wenn ich durch den Hafen tuckere und Gallagher, den Hummerfischer, suche. Oder ich
träume davon, daß ein stinkreicher Koksschmuggler aus Miami umweltbewußt wird und uns eins von seinen
Booten schenkt, eine Cigarette. Natürlich wird das nie passieren. Trotzdem spielte ich auch diesmal wieder mit dem Gedanken, irgendwann mal mit so einem Boot
rumzutuckern, als ich plötzlich zwischen Charlestown und Eastie, knapp drei Kilometer nördlich, eine zehn Meter lange Cigarette im Wasser liegen sah. So was
Ähnliches wäre bei meinem Zodiac rausgekommen,
wenn es ein Rüstungsbetrieb gebaut hätte: viel zu groß, viel zu schnell und hundertmal zu teuer. Die größeren Cigarette-Modelle haben vorne eine Kabine, aber die hier hatte nicht mal diesen Minimalkomfort. Sie hatte ein offenes Cockpit und keinen anderen Zweck als den,
höllisch schnell zu sein. Gestern hatte ich sie auch schon da liegen sehen. Ich fragte mich, ob es furchtbar
eingebildet war, wenn ich ihre Gegenwart auf meine
zurückführte. Die übelste Fabrik von Fotex lag in dieser Richtung, und vielleicht rechneten sie mit einem
Überraschungsangriff.
Unwahrscheinlich. Ihre Sicherheitsleute waren doch
angeblich so gut, also würden sie wohl wissen, daß
unsere Ketsch, die Blowfish, vor der Küste von New Jersey kreuzte, um demnächst (aber das wußten sie nicht) das arme, ahnungslose Blue Kills heimzusuchen. Und
ohne die Blowfish hatten wir nicht genug Zodiacs und nicht genug Taucher, um in einer Überraschungsaktion die Rohre dichtzumachen. Vielleicht war's also irgendein Reicher, der an seiner Bräunung arbeitete. Aber wenn er ein Boot hatte, das über hundert fuhr, warum machte er dann nicht, daß er aus diesen syphilitischen Gewässern rauskam? Er war im Mystic River, um Gottes willen.
Ich erwischte die Scoundrel vor Eastie, nicht weit von dem künstlichen Plateau entfernt, auf dem der Flughafen liegt. Die Jungs waren die ersten, die bei Projekt Lobster mitgemacht hatten, und darum meine Favoriten. Am
Anfang hatten mir die Hummerfischer nicht getraut. Sie hatten Angst gehabt, ich würde ihnen mit meinem
Statement, daß es fünf vor zwölf war, das Geschäft
versauen. Aber als der Hafen dann wirklich umzukippen drohte und die Leute laut darüber nachzudenken
begannen, ob sie überhaupt noch was essen sollten, das aus
Weitere Kostenlose Bücher