Volles Rohr
meinem
Gaschromatographen ihre Geheimnisse erzählt. Und oft sind es die kleinsten Rohre, die den größten Schaden verursachen. Wenn ich ein dickes fettes Abflußrohr
direkt aus einer Fabrik kommen sehe, mache ich jede
Wette, daß die Einleiter wenigstens die EPA-
Bestimmungen gelesen haben. Aber wenn ich so eine
kleine, unter Wasser versteckte Kanüle entdecke, die von einem kilometerbreiten Vergnügungspark der Industrie ausgeht, dann ziehe ich mir Handschuhe an, bevor ich meine Probe nehme. Und manchmal schmelzen die
Handschuhe wie Butter in der Sonne.
In einem wasserdichten Kasten habe ich etliche große gelbe Aufkleber liegen: ACHTUNG! DIESES
ABFLUSSROHR WIRD REGELMÄSSIG VON GEA
INTERNATIONAL KONTROLLIERT. BEI
ÜBERTRETUNG DER EPA-BESTIMMUNGEN
KANN ES JEDERZEIT VERSTOPFT WERDEN.
WEITERE INFORMATIONEN BEI (in einen freien
Zwischenraum geschrieben) SANGAMON TAYLOR
(und darunter unsere Telefonnummer).
Ich kann's selbst nicht fassen, wieviel Umweltkriminelle ich mit diesen Aufklebern schnappe. Wenn ich ein
Abflußrohr entdecke, das nicht gekennzeichnet ist, weil die Besitzer nicht ausfindig gemacht werden wollen,
bringe ich in der Nähe einen von meinen Aufklebern an.
Nach spätestens vierzehn Tagen läutet das Telefon.
»GEA«, sage ich.
»Spreche ich mit Sangamon Taylor?«
»Der ist gerade auf dem Lokus. Soll er zurückrufen?«
»Äh - ja, bitte.«
»Worüber wollten Sie denn mit ihm reden?«
»Über diesen Aufkleber.«
»Welchen?«
»Den am Island End River, auf halber Höhe etwa.«
»Okay.« Dann lasse ich mir die Nummer geben, lege auf und rufe sofort zurück.
Es klingelt einmal, es klingelt zweimal, und schon wird abgehoben. »Chelsea Electroplating, guten Tag. Was kann ich für Sie tun?«
Fall erledigt.
Ein paar Jahre in dieser Richtung, und ich hatte den Hafen sozusagen in der Tasche. Die EPA nannte mich an den geraden Tagen verantwortungslos und rief mich an den ungeraden an, um Informationen zu erbitten. Hin und wieder stellten Ämter oder Politiker eine mit Millionen dotierte Studie in Aussicht, mit deren Hilfe ergründet werden sollte, woher all der Dreck im Hafen kam, und ich schickte den Leuten meinen Report. Jedes Jahr
veröffentlichte die Weekly meine Liste der zehn schlimmsten Hafenverschmutzer:
(1)
Die Einwohner von Boston
(Fäkalien).
(2-3) Basco
und
Fotex,
die immer
miteinander um den zweiten Platz
wetteiferten (die ganze
Schadstoffpalette).
(4-7) Großlieferanten der Rüstung (diverse
Lösungsmittel).
(8-10) Kleine, aber üble
Schwermetalleinleiter wie Dernisov
Tanning
(eine
Gerberei) und
verschiedene galvanotechnische
Betriebe.
Mit Abwässern wird in Boston umgegangen wie im
tiefsten Mittelalter. Das meiste von dem, was die
Toiletten runtergespült wird, geht direkt in den Hafen -
hundertprozentig ungeklärt. Wenn man südlich der Stadt am Ufer entlangjoggt und die Strömung würzige Düfte
heranträgt, kann man es überall bräunlich glänzen sehen: das sind Scheißhaufen. Aber im allgemeinen sinken sie auf den Grund und vereinigen sich innig miteinander.
Heute war ich aus zwei Gründen mit dem Zodiac
unterwegs. Erstens, um von der Stadt und meinem Job
wegzukommen und draußen auf dem Wasser zu sein.
Zweitens, Projekt Lobster. Nummer eins muß ich nicht weiter erklären. Nummer zwei beschäftigte mich seit
einem guten halben Jahr.
Normalerweise ziehe ich meine Proben direkt aus den
Abflußrohren. Aber das genügt keinem. Ich sage den
Leuten, was eingeleitet wird, und sie sagen: Okay, aber wo bleibt es? Denn Strömungen und Gezeiten können die Schadstoffe ziemlich breit verteilen.
Theoretisch würde ich gern eine Karte vom Hafen
nehmen, sie mit einem Gitternetz versehen, dessen
Schnittpunkte etwa hundert Meter voneinander entfernt sind, und an jedem dieser Punkte eine Probe von dem
ziehen, was unten auf dem Grund ist. Die Analyse der Proben würde ze igen, wieviel Dreck wir an jeder
einzelnen Stelle haben, und dann wüßte ich auch, wie er genau verteilt ist.
Aber praktisch kann ich das nicht machen. Wir haben
einfach nicht die technischen Mittel, um in diesem
Ausmaß Proben zu nehmen.
Aber es gibt für alles eine Lösung. Im Hafen sind
Hummerfischer zugange. Ihre ganze Arbeit besteht darin, daß sie Geräte zur Probenentnahme (Hummerkörbe)
versenken und sie dann, mit Proben (Hummern) bestückt, wieder hochhieven. Ich habe eine Absprache mit ein paar Booten. Sie geben mir die miesesten Exemplare aus
ihrem Fang, und
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