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Volles Rohr

Volles Rohr

Titel: Volles Rohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephenson Neal
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Wassers glatt aus den Wellen. Es flitzt dahin wie ein geschlenzter Kiesel, und die Hydrodynamik kann einem scheißegal sein.
    Wenn man das Gas wegnimmt, sinkt es wieder ins
    Wasser und rollt hin und her wie eine Wildsau in der Suhle.
    Das ist meines Wissens das dem Zodiac
    zugrundeliegende Prinzip. Du setzt dich in ein Fahrzeug, das wahrscheinlich weniger wiegt als sein Motor, du
    funkst den Kontrollturm vom Logan Airport an, und dann hebst du ab.
    Wir hatten an diesem Zodiac einen 4o-PS-Motor - ein Geschenk -, und ich hatte mich nie getraut, ihn bis zum Maximum hochzujagen. Man bedenke, daß ein VW-Käfer keine 30 PS hat. Wenn du das Zodiac also mit
    Vollgas fährst und die See nicht zu rauh ist, hebt es sich aus dem Wasser, und das einzige nasse Teil daran ist dann die Schraube.
    Es ist das optimale Bostoner Transportmittel. An Land gibt's den Omni, aber da kommen einem all die
    langsamen Wagen in die Quere. Wir haben auch
    öffentliche Verkehrsmittel - die U-Bahn -, aber wenn man gut in Form ist, kommt man zu Fuß schneller
    vorwärts. Das Fahrrad ist auch nicht schlecht. Aber auf dem Wasser hält dich nichts auf, und es gibt nichts
    Wichtiges in Boston, das weiter als zwei Wasserstraßen voneinander entfernt ist. Der Hafen und die City sind wie kämpfende Tintenfische miteinander verbunden - überall schlängeln sich Wasser- und Landtentakel.
    Anders als jeder Schwachkopf glaubt, sind die
    Entfernungen durch die Zivilisation nicht geringer
    geworden. Sieh dir irgendeine Innenstadt an: Was auf einer Rucksacktour eine kleine Distanz wäre, wächst sich zur Weltreise aus. Du verbringst Stunden damit, ein paar läppische Kilometer zu fahren. Der Stadtplan, den du im Kopf hast, wird immer größer, bis alles endlos weit
    scheint. Aber steig in ein Zodiac, und die Entfernungen schnurren wieder zusammen wie ein überdehntes
    Gummiband. Du willst zum Airport? Schwupp. Ist gleich da drüben. Du willst über den Fluß? Okay, da sind wir.
    Du willst vom Common zur B. U., dreikommazwo
    Kilometer, während der Rush-hour und unmittelbar vo r einem Entscheidungsspiel im Fenway Park? Die meisten Leute würden das nicht mal versuchen. Mit dem Zodiac sind es wirklich nur dreikommazwo Kilometer. Fünf
    Minuten. Die authentische Entfernung, die natürliche Entfernung. Ich bin kein weggetretener Naturfreak, aber das ist ein Fakt.
    Der Mercury war brandneu, noch nicht mal eingefahren.
    Irgendein schlauer Sales-Promotion-Typ aus der
    Außenbordmotorbranche hatte festgestellt, daß unsere Zodiacs ziemlich oft im Fernsehen kamen. Und so
    kriegen wir unsere Motoren jetzt alle umsonst dafür, daß wir nichts weiter sind als wir selbst - herrlich
    extravertiert. Wir verschleißen die Motoren, wir
    versenken sie, zünden sie an und schlagen sie kaputt, und immer wieder tauchen neue auf. Ich steckte die
    Benzinleitung an, pumpte sie voll, und der Motor sprang beim ersten Versuch an. Der Mief der Piers wurde von Abgasgestank überlagert. Ich drosselte zum
    asthmafördernden Leerlauf, schaltete auf Vorwärts und begann mich zwischen den Pfählen durchzuschlängeln.
    Wenn ich hier Selbstmord begehen wollte, mußte ich nur einmal mit der Hand zucken, und schon würde ich mit
    Schallgeschwindigkeit gegen einen muschelüberkrusteten ehemaligen Baumstamm knallen.
    Dann hinaus in eine schmale Fahrrinne zwischen den
    Piers, dann in eine breitere Fahrrinne zwischen den
    großen Piers, dann in einen Kanal und von dort zu einem Hafen-Tentakel, aus dem der Kanal sein Wasser bekam.
    An irgendeinem Punkt durfte ich schließlich sagen, daß ich jetzt im Bostoner Hafen war, der Toilette des
    Nordostens. Indem ich den Motor zur Seite schwenkte, konnte ich mit dem Zode in engen Kreisen fahren und
    einen Blick auf die vielen mit Kacke gesalbten
    Schließmuskeln der Holden auf dem Hügel werfen, des
    Nabels der Welt, der Wiege der Toxine - meiner
    Heimatstadt. Der Bostoner Hafen ist mein Bier. Es gibt Biologen, die wissen mehr über seine Fische, und
    Geographen, die Statistiken über seinen Schiffsbestand führen, aber ich weiß mehr über seine dunklen,
    karzinogenen Seiten als jeder andere. In vierjähriger Arbeit bin ich mit meinem Zodiac in jede von seinen
    tausend schmalen Buchten geschippert, habe mir jeden beschissenen Zentimeter seiner ausgefransten Ufer
    angesehen und jedes gottverdammte Abflußrohr
    gefunden, das sich in ihn ergießt. Manche sind so groß, daß man einen Wagen darin parken kann, andere sind nur fingerdick, aber sie alle haben

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