Volles Rohr
Spiel im Fenway Park reinplatzen, finstere Warnungen aussprechen und eine Woche später wieder aufkreuzen und alles zurücknehmen. Genau das Bild, gegen das ich immer gekämpft hatte.
»Wo fährst du denn hin?« fragte der Boß.
»Weiß ich noch nicht.«
»Wie wär's mit Buffalo?«
»Buffalo?«
»Ja, warum nicht?« sagte er. Klang völlig harmlos.
»Dann will ich dir mal was von Buffalo erzählen. Als ich das letzte Mal da durchgefahren bin, bin ich in einen Sturm geraten. In einen großen, filmreifen Sturm. Gut 100 km/h Windgeschwindigkeit. Eigentlich war's ein
klarer Tag, aber es war soviel Staub in der Luft, daß das Licht kackbraun wurde, verstehst du? Man konnte sich nicht im Freien aufhalten, weil der Wind Steinchen
aufwirbelte, kleine Kiesel, und sie zu Boden prasseln ließ wie Hagelkörner. Dann kam ich auf dem Weg zur Brücke zu dieser Stelle in einem Einschnitt. Links und rechts Böschungen und oben große petrochemische Tanks. Die
Böschungen wirkten wie ein Windkanal und saugten
Kohlenstaub von einer Riesenhalde am Highway an, und so fuhr ich durch eine dicke, schwarze, schweflige
Wolke, es regnete Zweige und Steine gegen die
Windschutzscheibe, ich war zwischen zwei
Sattelschleppern eingekeilt, die Gasolin transportierten, und ich sagte mir: Scheiße, ich hab' die Ausfahrt zur Hölle erwischt.«
»Die Blowfish ist früher als geplant eingetroffen«, sagte der Boß, »und wir haben ein Projekt, das außer der Reihe durchgezogen werden muß.«
»Vergiß es.«
»Es handelt sich um eine Dioxin-Leitung. Die soll
dichtgemacht werden.«
Ein guter Boß weiß, wie man seine Mitarbeiter ködert.
»Wir zahlen die Fahrt. Debbie macht auch mit.«
Das hieß, daß ich mit dem Zug fahren konnte,
Schlafwagen, in einem Abteil mit Debbie.
Ich ging nach Hause, um zu packen, und stellte fest, daß mich eine kleine Überraschung erwartete. Jemand hatte sich Scrounger geschnappt, einen streunenden Kater aus der Nachbarschaft, der manchmal bei uns vorbeischaute, ihm den Schädel eingeschlagen, ihm einen
auseinandergebogenen Kleiderbügel um den Hals
gewunden und ihn vor der Tür aufgehängt.
Ich nahm Scrounger ab und tat ihn in die Mülltonne,
versteckte ihn unterm Abfall, damit meinen
Hausgenossen dieser Anblick erspart blieb. Auf dem Hof entdeckte ich Blutstropfen und folgte ihnen bis zur
Mordwaffe, einem faustgroßen, blutbeschmierten
Betonklotz.
Jemand war von hinten ins Haus eingebrochen und hatte sich dort ausgetobt. Nicht alles zu Kleinholz gemacht, aber sich immerhin redlich bemüht. Der Fernseher war eingeschlagen, der Monitor meines PC ebenfalls. Sie
hatten sogar die untere Hälfte des Computers
rausgezogen, eine separate Box, und waren darauf
rumgetrampelt. Lebensmittel lagen kreuz und quer über dem Küchenboden verstreut, und zum Abschluß hatten
die Jungs das ganze Frigen aus dem Kühlschrank
auslaufen lassen.
Mafia oder nicht Mafia - ich konnte es nicht sagen. Aber ich war verdammt müde und deprimiert; ich wollte nur noch weg aus Boston. Aus meinem großen Skandal war
ein schlechter Witz geworden. Und jetzt wurde auch
noch jemand rabiat.
17
Ionisches Chlor ist leicht zu kriegen. Es ist in
Meerwasser enthalten, wie Tom Akers sehr richtig
bemerkte. Aber wenn man eine ganze stinkige Palette
von Industriechemikalien produzieren will, muß man das ionische Chlor in kovalentes Chlor umwandeln. Und das macht man, indem man ein Elektron wegnimmt.
Im wesentlichen funktioniert das so: Man nimmt einen Tank voll Salzwasser und hängt nicht isolierte
Elektrodrähte rein. Zwischen die Drähte kommt eine
Stromquelle, und dann fließt der Saft - ein Strom von Elektronen - durchs Wasser. Dadurch werden die
Moleküle umgewandelt. Aus dem ionischen Chlor wird
kovalentes Chlor, genau wie gewünscht. Das Natrium
verbindet sich mit aufgelösten Wassermolekülen, und es bildet sich Natriumhydroxyd, auch Ätznatron oder
Ätzalkali genannt. Dieses Verfahren bezeichnet man als Chloralkalielektrolyse.
Einfach genug. Aber um industrielle Mengen von DDT
oder PCBs oder Lösungsmitteln oder was auch immer
herzustellen, braucht man industrielle Mengen Chlor.
Dafür wiederum braucht man eine Menge Strom. Und
wenn man einen wahren Niagarafall von Chemikalien
produzieren will, dann? Genau. Dann braucht man eine niagarafallgroße Energiequelle.
Daher Buffalo. Der Segen dieser Stadt, der
wunderschöne Niagarafall, ist auch ihr Fluch.
Und der chemischen Industrie in Buffalo auf den Schlips zu
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