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Vollidiot

Vollidiot

Titel: Vollidiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tommy Jaud
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ich gar nicht nachdenken! Und wie soll ich in so kurzer Zeit eine so wichtige Entscheidung treffen, wenn ich nicht nachdenken kann? Ich greife nach einer blauen Plastikuhr mit Sekundenzeiger, die ich im Bad stehen habe. Wegen des ganzen Dampfes muss ich sie mir direkt vor die Nase halten, damit ich etwas erkenne. Wenn der Zeiger unten bei sechs ist, dann hab ich mich entschieden! Und los! Die Gedanken rasen.
    Okay ... wenn ich nicht hingehe ..., dann bin ich auch keinen Schritt weiter mit Marcia und hab über 70 Euro rausgeblasen. Wenn ich hingehe, dann hab ich eine echte Chance auf die schärfste Frau, die in dieser Stadt rumläuft. Und ich habe eine Chance. Weil ... weil ich keine Flachpfeife bin mit einem Dreitagebart, sondern ...
    Der Sekundenzeiger ist bei der Sechs angekommen. ... ein frisch rasierter toller Typ!!!
    Ich tauche meinen Kopf ins Wasser ...
    »Aaaaaaaahhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhh! ! !«
    ... und reiße ihn wieder raus. Mein Gesicht ist ein einziges Flammenmeer! Panisch drehe ich den Hahn auf kalt und drehe mich ein paar Mal im Kreis, weil ich nicht weiß, was ich machen soll, bis das Wasser kalt wird. Ich haue meine Hand auf das Waschbecken, als würde das irgendwas bringen. Dann schaufle ich mir literweise eiskaltes Wasser in meine geschundene Visage. Nach fünf Minuten wage ich einen ersten Blick in den Spiegel. Ich sehe aus wie ein irischer Lastwagenfahrer nach drei Wochen Karibiksonne. Langsam lasse ich mich zurück auf den Wannenrand gleiten. Ich bin eine krebsrote Flachpfeife mit einem Dreitagebart. Man muss den Tatsachen ins Auge sehen: Als halbseidene Niki-Lauda-Parodie stehe ich beim Mädchen Nummer eins nicht wirklich ganz oben auf der Tanzkarte. Fakt ist, und da muss ich eigentlich gar nicht länger in den Spiegel starren, dass ich jetzt keine Chance mehr habe. Seltsam, aber aus genau diesem Grund entspanne ich mich. Ich lächle sogar! Wenn ich keine Chance mehr habe, dann brauche ich auch keine Angst mehr haben! Und wenn ich keine Angst mehr habe, dann kann ich ja eigentlich auch gehen! Ich bin nicht irgendeine krebsrote Flachpfeife mit Dreitagebart. Ich bin eine krebsrote Flachpfeife mit einer Entscheidung! Denn diese krebsrote Flachpfeife geht mit der schönsten Frau der Stadt zum Konzert! Und vorher in die Apotheke!
    NACHT AM MEER
    Ich tupfe die letzten Reste Brandsalbe aus meinem Gesicht und schlüpfe in mein weißes Hemd. Das Hemd steht mir normalerweise recht gut. Doch da das blütenreine Weiß des Stoffes in einer nahezu erschreckenden Art und Weise mit dem tomatigen Rot meines Gesichts kontrastiert, hänge ich das Hemd zurück und greife nach meiner kackbraunen Puma-Trainingsjacke. Inzwischen bin ich regelrecht gut gelaunt. Ich packe noch ein bisschen Gel in die Haare, zupfe hier und dort und begutachte mich schließlich ein letztes Mal im Spiegel. Die Ähnlichkeit zu Bruce Willis in der hundertzwölften Minute von Die Hard ist verblüffend. Ich sollte mir noch ein wenig Blut auf die Klamotten schmieren und ein paar Löcher reinreißen. Dann könnte ich wenigstens behaupten, ich hätte gerade den Kölner Dom vor einem gigantischen Terroranschlag gerettet. Mit dem Zei-gefinger tippe ich auf meine Wange. Die Haut wird erst weiß, dann wieder rot. Ich schaue auf die Uhr. Wenn ich die Bahn um 26 bekomme, dann stehe ich pünktlich um sechs vor der Halle. Und vorher werde ich mich ja wohl kaum verabredet haben.
    Fertig!
    Theatralisch lasse ich die Tür zukrachen, als wolle ich der ganzen Welt mitteilen: So! Und jetzt gibt es kein Zurück.
    Während ich auf den Aufzug warte, interpretiere ich frei die türkischen Musikstücke, die ich vor ein paar Tagen aus einem tiefer gelegten Mercedes SLK gehört habe. Der Aufzug kommt, und ich fahre die vier Stockwerke nach unten, die man meine Wohnung zu hoch gebaut hat. Es ist bereits dunkel, als ich vor die Eingangstür an die frische Luft trete. Als ich mir meinen Kragen in Position zupfe und die ersten Schritte in Richtung Bahnstation gehe, kommt mir ein ganz übler Verdacht, ein ganz, ganz böser, sehr, sehr schlimmer Verdacht in den Kopf. Ich stecke meine Hand in die linke Hosentasche. Nichts. Ich klopfe auf meine rechte Hosentasche: auch nichts. Mit pochendem Puls filze ich jede einzelne Tasche meiner Klamotten, aber die düstere Vorahnung bestätigt sich. Ich bin eine krebsrote Flachpfeife ohne Haustürschlüssel!
    Kraftlos döze ich meinen Kopf an die Häuserwand. Ich hab den Schlüssel in der Wohnung gelassen! Ich Vollidiot hab mich

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