Vollidiot
ausgeschlossen! Ausgerechnet jetzt! Ich muss Lala anrufen! Lala ist die Einzige, die noch einen Schlüssel von mir hat! Mit einem Schwung drehe ich mich um und ziehe mein Handy aus der Hosentasche.
»Lieber Gott, bitte lass Lala ans Handy gehen!«, bete ich, als ich nach ihrer Nummer suche. Sicher das bekloppteste Gebet, was an diesem Tag beim lieben Gott im Posteingang landet. Es klingelt ein Mal, zwei Mal, drei Mal ... und dann, ich könnte schreien vor Freude, höre ich Lalas Stimme.
»Ja?«
Es ist erstaunlich, wie man schon ein so kurzes Wort wie Ja mit kroatischem Akzent aussprechen kann.
»Lala! Das ist ja geil, dass du rangehst!«
»Klingelt Handy, geh ich ran! Is nix Besonders! Hab ich Scheiße gebaut in Wohnung?«, fragt sie besorgt.
»Nein, ganz und gar nicht!«
Ich springe vor Freude einen Schritt zur Seite und remple dabei fast einen älteren Herren um. »Siiiiiiieeeeeeeeee!«, raunzt er und zeigt auf mich. Er kommt mir irgendwie bekannt vor.
»Lala, ich hab mich ausgeschlossen, ich brauch meinen Schlüssel!«, stammle ich ins Telefon. »Kann ich dich sehen? Also ... jetzt?«
Ich kann! Weil Lala auf der anderen Rheinseite in der Nähe der Konzerthalle wohnt, einigen wir uns darauf, die Schlüsselübergabe dort zu machen. Ich atme tief durch, schüttle mich kurz und gehe bedächtigen Schrittes Richtung Rudolfplatz, wo meine Bahn losfährt. Die 26er habe ich verpasst, aber das ist egal.
In der Bahn schauen mich alle an, als hätte ich die Hühnergrippe, Shrimpsdönerausschlag und SARS zusammen. Eine alte, dünne Frau mit einem Trockenpflaumen-Gesicht schimpft mit sich selbst über die Schlechtigkeit der Welt. Jeder hört zu, aber keiner schaut hin. Sie haben ja mich zum Glotzen. Ich halte wenigstens die Klappe. Nach einer halben Stunde springe ich, zusammen mit über hundert weiteren Konzertbesuchern, aus der Bahn und gehe Richtung Konzerthalle. Ich beschließe, ein wenig cooler zu gehen als sonst, schließlich bin ich ja jetzt Hip-Hop-Fan. Yo! Yo! Yo! Check Dis Out. MC Peters in da hoouuuusse!
Ich sehe Lala schon von weitem. In ihrer schwarzen Stoffhose und mit ihrem braunen Wintermantel mag sie nicht so recht zu den übrigen Fanta-Vier-Fans passen, die sich in ihren Basecaps und Trainingsjacken rauchend vor dem Haupteingang tummeln.
»Siiimon!«, begrüßt sie mich strahlend. Das Strahlen verschwindet, als ich direkt vor ihr stehe.
»Was ist los mit deine Gesicht?«
Schade, ich hatte mein Aussehen gerade für eine Minute vergessen.
»Das is 'ne Neurodermitis!«, lüge ich.
»Ist ganz rot dein Gesicht, weißt du?«
Ja, ich weiß es. Ich hab es heute Nachmittag schließlich selbst in 90 Grad heißes Wasser getaucht. Lala bemerkt, dass ich verärgert bin, und zieht lachend meinen Wohnungsschlüssel aus ihrer Handtasche.
»Hab ich Schlüssel dabei!«
»Weltklasse!«
Ich umarme Lala und hab plötzlich ein schlechtes Gewissen, sie extra hierher fahren zu lassen, nur weil ich zu blöd bin, meine Wohnung wie ein normaler Mensch zu verlassen. Ich weiß, dass sie nichts erwartet, aber irgendwie möchte ich mich schon gerne bedanken. Ihr Geld zu geben wäre allerdings auch ein bisschen beknackt. Deswegen frage ich sie, ob ich ihr ein Bier ausgeben kann.
»Danke, Simon, ist ganz lieb, aber glaube ich, geh ich gleich wieder nach Hause!«
»Sicher?«
»0 ja!«
Aber Lala geht nicht und schaut interessiert durch die Gegend. Vielleicht ist es ja ein uralter kroatischer Brauch, sich ein paar Sekunden umzuschauen, bevor man geht. Auch ich lasse meinen Blick schweifen, in der Hoffnung, Marcia irgendwo zu entdecken. Lala zupft mich an meiner Jacke.
»Was ist Fantastische Vier, Simon?«
In diesem Augenblick erinnere ich mich daran, dass Lala Musik liebt. Egal, welche Musik, wie sie immer sagt, Hauptsache flott. Aber Fanta Vier? Mit über vierzig? Als Exil-Kroatin? Neiinn!
»Das ... ist deutscher Hip-Hop!«, erkläre ich möglichst desinteressiert. Dabei spreche ich Hip-Hop aus, als wäre es eine ganz besonders schlimme Form der Neurodermitis. Von Marcia immer noch keine Spur.
»Ahhhh ... Fantastische Vier. Hab ich gehört beim Bügeln. Ist in deine CD-Maschine, stimmt?«
Ja! Fanta Vier sind in meiner CD-Maschine. Und wenn ich gewusst hätte, dass Lala diese Maschine bedienen kann, dann hätte ich sie ganz bestimmt vorher rausgenommen.
»Ist das die da?«, fragt mich Lala. Zunächst hab ich keine Ahnung, was sie meint. Woher weiß sie denn, dass ich verabredet bin? Sie weiß es gar nicht, bemerke
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