Vollidiot
Ohrring und Security-Bomberjacke tastet mich nach Sprengstoff ab, starrt aber die ganze Zeit sabbernd auf Marcia. Ich könnte vier Atombomben in meiner Innentasche deponiert haben, er würde es garantiert nicht bemerken.
»War noch gut gestern?«, nuschelt der Quadratschädel Marcia zu.
»War'n noch im Nachtflug. Das mit Sandy haste gehört?«
»Schlampe halt!«, grinst der Quadratschädel und widmet sich dem nächsten Besucher. Ich bin geschockt, was meine Begleitung für Leute kennt. Und langsam würde es sogar mich mal interessieren, einen Blick auf Sandy zu werfen. Wir sind keine zwei Schritte im Foyer, da verschwindet mein Playmate mit den Worten »Holste mir einen Prosecco?« in Richtung Toilette. Ich schaue ihr nach und bin dabei nicht der Einzige. Sie scheint es zu wissen und zu genießen. Eine gewisse Ratlosigkeit macht sich bei mir breit. Ich hab ja nicht erwartet, dass mir mein Starbucks-Mädchen gleich zur Begrüßung die Zunge in den Hals steckt und fragt, ob ich Gummis dabeihabe. Aber es wär schon toll gewesen, wenn wir zumindest mal einen einzigen geraden Satz gewechselt hätten. Missmutig besorge ich Marcias Prosecco und stelle mich zurück an die alte Stelle.
Ich lehne mich an ein Stück Wand und beobachte die Leute, die, meist in Gruppen, schnatternd an mir vorbeiziehen. Fast alle sind zwischen Mitte zwanzig und Mitte dreißig, und fast alle sind nicht gerade die typischen Konzertbesucher. Ex-Jugendliche, die jeweils 35 Euro dafür bezahlt haben, um sich noch mal für zwei Stunden in die gute alte Zeit zurückschießen zu lassen. »Fanda Via subbageil!«, ruft ein dicker Schwabe im Fanshirt wie auf Befehl und nimmt einen Bierbecher eines Kumpels entgegen. Was mich an diesen Leuten am meisten erschreckt, ist, dass sie offenbar die gleiche Musik mögen wie ich. Ich schaue auf die Uhr. Marcia ist jetzt schon über eine Viertelstunde weg. Normal? Zu lang? Oder gar zu kurz? Zu lang! Denn inzwischen springt eine gut gelaunte Lala durch die Sicherheitskontrolle. Als hätte ich nicht Probleme genug! In der Hand hält sie noch immer unsere zwei Pappbecher Bier. Noch bevor ich überhaupt auf die Idee kommen kann, mich zu verstecken, hat sie mich entdeckt und eilt freudig strahlend auf mich zu.
»Simon ... da bist du! Hab ich dich draußen gesucht ...« Sie ist nicht mal ansatzweise sauer, dass ich sie habe stehen lassen.
»Sorry, ich dachte, du wärst schon rein!«, lüge ich und genieße den einzigen Vorteil meiner Verbrennungen: Ich kann nicht mehr rot werden. Lala reicht mir einen der beiden Bierbecher. Es kostet mich ziemlich viel Überwindung, nichts davon zu trinken. Mein Durst ist inzwischen nämlich ungeheuerlich.
»Wann geht los?«, fragt sie mich aufgeregt und nippt an ihrem Bier.
»Eigentlich jetzt!«, sage ich und schiele auf meine Uhr. »Und wo ist dein Kumpel?«, will Lala wissen.
»Das ist kein Kumpel, das ist 'ne Bekannte von mir!«, kläre ich die erstaunte Lala auf.
»Ahhh, Simon ... neue Liebe?«
»Weiß ich noch nicht!«, gebe ich betreten zu. Ich frage mich wirklich, wo zum Teufel die Frau bleibt. Vielleicht hat sie ja ihre Lieblingsschlampe Sandy auf dem Klo getroffen und musste ihr vor dem Händewaschen noch rasch die Augen auskratzen.
»Und wo ist Bekannte?«, hakt Lala nach.
»Auf'm Klo, kommt gleich«, sage ich.
»Dörte war nicht gut für dich?«
Ach du lieber Himmel. Dörte. Das ist ja Jahre her. Womöglich aber auch erst ein paar Tage.
»Das mit Dörte ... na ja, wir sind zu verschieden!«
»Hat mir gesagt, dass ihr euch nicht mehr trefft«, bedauert Lala und ergänzt: » Schade. Hat so schöne Wohnung!«
»Das tut mir Leid«, lüge ich, und dann kommt Marcia auf uns zugeschlurft, ganz langsam, weil sie nämlich während des Gehens noch auf ihrem Handy herumpickt mit ihren langen, weißen Playmatefingernägeln. Komisch. Die sind mir im Café auch noch nicht aufgefallen. Offenbar hat sie Sandy doch nicht getroffen, denn sie hat kein Blut an der Hand.
»Is das die Kumpel?«, flüstert Lala mir augenzwinkernd zu, als sie schon fast bei uns ist.
»Ja!«, flüstere ich zurück.
»Schöne Frau!«, nickt Lala anerkennend und lässt ihren Blick über Marcia schweifen.
Marcia ist erstaunt, fast erschrocken, als ich ihr Lala vorstelle, und schaut exakt so, als bekäme sie gerade von Sandy einen Strafzettel unter den Wischer geklemmt.
»Marcia, das ist Lala — Lala, Marcia!«
»Mach ich sauber bei Simon!«, ergänzt Lala freundlich und reicht Marcia die Hand. Diese
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