Vollidiot
wenig Zeit hätte, dann würde ich ja sicherlich viel arbeiten und wäre also ziemlich reich, und dann könnte ich ihm ja gleich die 561 Euro geben. Das war der Punkt, an dem ich anfing, den kleinen Mann zu hassen.
»Bei welcher Bank sind Sie denn?«, fragt der kleine Mann mit ernster Miene, als wir nach zehn Minuten immer noch nicht am Automaten angekommen sind.
»Stadtsparkasse Köln«, sage ich.
»Aha!«, antwortet er, als sei allein der Name schon ein schlechtes Zeichen. Wobei er auch Recht haben könnte. Sobald man dort auch nur einmal den Hauch eines Problems hat, den Dispo zurückzuzahlen, ist es vorbei mit Kalendern, Kugelschreibern und Kulanz.
»Ich komme mit Ihnen rein!«, sagt der kleine Mann, als wir das Foyer meiner ungeliebten Sparkassenfiliale erreichen.
»Wie Sie wollen«, sage ich, stecke meine EC-Karte in den Schlitz des Automaten und bete, dass mein pinker Arbeitgeber schon überwiesen hat. Während ich meine PIN eintippe, informiert sich der kleine Mann an einem großen Ständer mit Bankbroschüren über Altersvorsorge.
Ich bin sehr nervös, denn selbst für mich ist mein Kontostand ein absolutes Geheimnis. Monatelang habe ich es für sicherer gehalten, die böse Zahl gar nicht erst zu wissen. Ich musste sie auch nicht sehen, beim Abheben, denn ich bin zu groß, um sie zu sehen. Der Bildschirm ist nämlich so angebracht, dass alle Kunden über 1,80 m in die Knie gehen müssen, um die rechte obere Ecke der Anzeige einzusehen. Meiner Meinung nach ist das die Rache des kleinen Mannes. Die kleinen Männer wollen nämlich, dass sich die großen Männer unwissentlich verschulden und so weder Haus noch Frau halten können. Und dann schlagen sie zu, die kleinen Männer, und bieten überteuerte Kredite an, und alles wird noch schlimmer, und dann übernehmen sie dein Haus und deine Frau und holen deine Kinder in teuren Luxuslimousinen vom Kindergarten ab. So sieht das aus mit den kleinen Männern. Sie wollen, dass jeder über 1,80 m spätestens mit dreißig in der Gosse landet.
Ganz vorsichtig gehe ich in die Knie.
10 678,98 Euro Soll. Das kann nicht sein!
»Alles klar?«, fragt der kleine Mann.
»Aber logo!«, huste ich und versuche, mit meinem Fingernagel das Minus vor der Summe wegzurubbeln. Es müsste schon ein Wunder geschehen, wenn mir diese Dreckskiste bei dem Kontostand noch was ausspuckt. Ich berühre das Feld »Andere Beträge« und fordere 600 Euro an. Aus dem Inneren der Maschine höre ich ein Fiepen und Rattern, dann scheint irgendetwas gedruckt zu werden, und schließlich lese ich auf dem Bildschirm: Bitte setzen Sie sich mit Ihrem Bankberater in Verbindung.
Mein letztes Fünkchen Hoffnung auf eine Rückgabe meiner Karte erlischt, als der Automat Sekunden später den nächsten Kunden auffordert, seine Karte einzuführen. Der nächste Kunde wäre wieder ich, aber das weiß so eine bekloppte Kiste natürlich nicht. Und natürlich werde ich mich nicht mit meinem Bankberater in Verbindung setzen, weil ich den nicht mag, seit ich keine Kalender mehr bekomme. Bestenfalls werde ich ihm ein aus Beton gegossenes Minus an seine rahmengenähten Lederschuhe binden und ihn dann in einem idyllischen, kleinen Baggersee versenken.
»Gibt es ein Problem?«, fragt der kleine Mann und versucht, mit seinen kleinen Augen einen Blick auf den Bildschirm zu erhaschen.
»Ja«, sage ich und stecke mein Portemonnaie wieder ein.
»Ein großes Problem?«
»Sagen wir, größer als Sie!«
Das hätte ich mal besser nicht gesagt.
»Das reicht. Wir gehen zurück zu Ihrer Wohnung!«, sagt der kleine Mann wütend.
»Und dann?«
»Stelle ich Ihnen Strom und Gas ab!«
»Es ist Winter!«
»Das können Sie ja später dem zuständigen Sozialamt erzählen.«
»Ich habe 'ne Freundin beim Express, die macht da 'ne Riesenstory draus!«, drohe ich ihm.
»Da war ich gestern, die zahlen auch nicht!«, antwortet er ruhig und geht aus dem Foyer der Bank, wie kleine Männer nun mal aus Foyers gehen.
»Das war nicht so gemeint!«, sage ich, als wir draußen sind.
»Was war nicht so gemeint?«, fragt mich der kleine Mann, macht dabei aber keine Anstalten, stehen zu bleiben.
»Na, dass ich das gesagt habe! Wenn Sie noch zehn Minuten haben, dann besorge ich mir das Geld von einem Kollegen! «
Der kleine Mann sagt nicht »ja, prima«, aber immerhin bleibt er schon mal stehen. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal jemandem so in den Arsch gekrochen bin. Womöglich gefällt dem kleinen Mann ja so was.
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