Vollmeisen

um dich gehabt. Ich bin fast durchgedreht, als keiner wusste, wo du warst. Dann wurde der Polo in der Stadt gefunden, und es war klar, dass du nicht einfach einen kleinen Ausflug gemacht hattest. Und ich habe gemerkt, ich meine, ich wusste plötzlich …« Nun geriet er ins Stottern. Während ich ihn gespannt ansah, sprach er weiter: »Na ja, also, ich glaube, ich hab mich in dich verliebt.«
    Heißa! Ich hörte nicht nur die Trompeten spielen und die Harfen klingen, ich konnte das ganze verdammte Orchester sehen !
    Â»Wirklich?«, strahlte ich über beide Ohren. »Mir geht es ganz genauso.«
    Â»Du hast dich auch in dich verliebt?«, fragte der Blödmann grinsend.
    Â»Halt die Klappe«, sagte ich nur, und mir fiel auch sofort ein, wie ich ihn zum Schweigen bringen konnte.
    Es gab keine Diskussionen mehr über Vorschriften oder Schutzbefohlene. Arm in Arm wankten wir die Treppe hoch ins dunkle Schlafzimmer. Zum Glück konnte man nicht allzu viel sehen, denn die innenarchitektonische Gestaltung dieses Raumes war alles andere als anregend. Obwohl, ich glaube, in diesem Moment hätten wir uns auf einer Müllhalde befinden können, und es hätte uns nicht gestört. Wir nahmen nichts anderes außer uns beiden mehr wahr. Ich weiß nicht mehr, wie lange wir uns völlig losgelöst zwischen der geblümten Bettwäsche getummelt haben. Es kam mir gleichzeitig vor wie Tage oder aber auch nur wie ein paar Minuten. Nichts war zu spüren von der Peinlichkeit des ersten Mals, der Unbeholfenheit, wenn man noch nicht weiß, was dem anderen gefällt. Wir passten zusammen, so, als würden wir schon jahrelang üben, aber mit diesem prickelnden Gefühl der ersten Verliebtheit.
    Â»Nick?«, sagte ich leise zu ihm. »Das war einfach unglaublich, ich meine, so habe ich das noch nie erlebt.«
    Nick antwortete mit einem Knurren. Moment mal, er knurrte? O nein, er war tatsächlich eingeschlafen. Okay, er war ein Traummann, aber in manchen Dingen war er wohl auch einfach nur ein Mann. Ich lag neben ihm und träumte mit offenen Augen vor mich hin. Mir kam meine Beziehung mit Simon in den Sinn, und ich wusste, die ganzen drei Jahre mit ihm waren bedeutungslos gegenüber dieser einen Nacht mit Nick. Was ja eine Menge über unsere Beziehung aussagte. Die hatte ich wohl ein bisschen sehr rosa gesehen. Diese Nähe, die ich jetzt im Moment zu Nick fühlte, die war zwischen Simon und mir nie so da gewesen. Spätestens jetzt sah ich die letzten Jahre klar. Ich war ein nettes, lustiges Aushängeschild für Simon gewesen, durch meine Arbeit bei ihm auch noch nützlich, aber von einer echten Partnerschaft waren wir so weit entfernt wie Vera am Mittag vom Idealgewicht. Ich überlegte, ob ich Nick wecken sollte, damit wir das Ganze noch mal wiederholen konnten. Aber dann dachte ich an die Spieldose.
    Leise stahl ich mich aus dem Bett und dem Schlafzimmer und huschte hinunter in den Flur. Ich wühlte vorsichtig in meiner Tasche und fand das gute Stück. Auf Zehenspitzen schlich ich damit in die Küche und schaute sie mir an. Also, hübsch war sie wirklich, sie hatte einen verspiegelten Aufsatz, auf dem ein tanzendes Paar stand. Ich suchte nach der Schraube zum Aufziehen und drehte kräftig daran. Das war ja echt niedlich. Das Paar tanzte über die verspiegelte Fläche zur Melodie des Schneewalzers. Die übrigens recht laut erklang.
    Schnell wickelte ich die Dose in ein Geschirrhandtuch und legte sie in den Kühlschrank. So, besser, nun war nur noch ein leises Summen zu hören. Sobald die Dose Ruhe gab, holte ich sie wieder raus und lauschte nach oben. Nichts zu hören, Nick schlief tief und fest. Nun musste ich nur noch rauskriegen, wie man sie aufbekam. Ich suchte und probierte alles Mögliche, aber ich konnte nichts entdecken. So ein Mist, die war so hübsch, ich konnte sie doch nicht einfach kaputtmachen. Dann kam mir eine Idee – vielleicht gab es ja gar keinen versteckten Mechanismus oder einen kleinen, geheimen Kniff. Vielleicht musste man einfach nur mal drehen? Und wirklich, der Aufsatz ließ sich problemlos abdrehen, und der USB-Stick war tatsächlich drin. Ihn jetzt an den Computer anzuschließen war mir zu riskant, also drehte ich die Dose wieder zu, steckte sie wieder in meine Tasche, versteckte diese in der Besenkammer und ging zurück nach oben.
    Ich legte mich ins Bett und rutschte ganz dicht an Nick heran.