Vollmeisen
Wieder kam dieses Knurren, aber immerhin hob er den Arm und zog mich an sich. Eigentlich wollte ich noch ausprobieren, ob er dieses Küssen im Schlaf noch mal wiederholen würde, aber nun machte sich dieser verrückte Freitag auch bei mir bemerkbar. Zum zweiten Mal an diesem Tag fiel ich in einen tiefen Schlaf.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, schlief Nick immer noch. Ich stützte mich auf meinen Ellenbogen und beobachtete ihn. Die dunklen Haare fielen ihm ins Gesicht, auf dem sich eine Menge Bartstoppeln tummelten. Hm, sehr männlich. Ich wollte ihn gerade ganz vorsichtig auf den Mund küssen, als mein Ellenbogen irgendwie auf diesem komischen, gestärkten Laken wegrutschte und ich mit meinem ganzen Oberkörper auf Nick fiel. Der schoss hoch und riss mich dabei zur Seite. »Was? Was?«, schrie er wild, bis er mich neben sich sah.
»Alice?«, grinste er schlaftrunken. »Ist das deine Art, einen Mann liebevoll zu wecken, oder habe ich dir etwas getan?«
Ich lächelte ihn an. »Sowohl als auch. Aber ich glaube, du hast noch nicht genug getan, da besteht ganz dringender Handlungsbedarf.«
»So ist das«, murmelte er, sein Gesicht schon an meinem Hals, »dann muss ich wohl ganz schnell mal was tun.«
Das tat er auch, und es war genauso wunderschön wie in der Nacht zuvor. Danach könnte ich direkt süchtig werden.
»Aber du bleibst jetzt bitte wach, ja?«, bat ich ihn, nachdem wir wieder zur Ruhe gekommen waren.
»Oje, ich bin gestern ziemlich schnell eingeschlafen, was? Tut mir leid, du wirst noch merken, dass mir das eigentlich nicht passiert, aber die letzten Tage waren echt hart.«
Aha. Ich werde das noch merken. Er sah für uns eine Zukunft. Am liebsten hätte ich gebrüllt vor Glück, stattdessen stellte ich ihm eine Frage. »Erzählst du mir, warum du beschlossen hast, dich nun doch nicht mehr an eure Vorschriften zu halten?«
»Weil manche Vorschriften einfach dämlich sind«, grinste Nick. »Du hattest recht, wir tun niemandem weh. Und ich glaube, wir haben beide gerade gemerkt, dass das Leben verdammt kurz sein kann. Zu kurz, um sich über alles einen Kopf zu machen. Aber in einem hattest du unrecht.«
So? Das hörte ich aber gar nicht gerne. »Und an was denkst du dabei?«
»Na ja, deine Theorie des Stockholm-Syndroms ist wohl überholt, oder?«
Ich musste grinsen. Nein, es war ganz sicher nicht die Situation gewesen, die mich zu Nick hingetrieben hatte, sondern nur er allein. Es hatte mich vom ersten Moment an voll erwischt. Aber alles musste er ja nun auch nicht wissen.
Nachdem Nick losgefahren war, um uns ein Frühstück zu besorgen, räumte ich den Kühlschrank aus. Als ich gestern Nacht kurz die Spieldose hineingetan hatte, war mir ein sehr unangenehmer Geruch aufgefallen. Den Grund dafür erkannte ich jetzt in verfaulten Tomaten und Wurst, die sich in der Folie schon aufrollte. Ich warf alles in den Mülleimer, der leider auch nicht gerade wie ein Tannenwald duftete.
Kaum war ich mit dem Inhalt drauÃen an der Mülltonne angelangt, stürmte Anneliese schon aus ihrer Haustür. Stand diese Frau eigentlich nur am Fenster?
»Oh, guten Morgen, so ein Zufall, dass ich dich hier treffe«, freute sie sich. »Wie sieht es denn heute mit einem Spieleabend aus? Susi und Michael wollen auch kommen.«
»Ach, weiÃt du«, sagte ich bedauernd, »unsere Kunstlehrerin hat gestern Abend noch angerufen. Die ist wirklich krank, völlig besessen. Sie hat jeden aus dem Kurs angerufen und uns gesagt, wer ihr bis Dienstag nicht mindestens drei Bilder schickt, der würde hochkant rausfliegen. Und dabei haben wir Ferien, kannst du dir das vorstellen?«
»Na, die ist aber gemein«, bekundete Anneliese ihr Mitgefühl. »Aber was muss, das muss, sag ich immer. Dann malt ihr man schön, aber am Sonntag musst du einfach mal Zeit haben. Da treffen wir uns wieder im Schützenhaus, zur Abschlussbesprechung des Festkomitees.«
Also, da musste ich ja wohl hin, ohne mich waren die doch völlig aufgeschmissen.
»Na klar, ich werde da sein.«
»Super, gleiche Zeit, gleicher Ort«, teilte sie mir mit und ging endlich wieder in ihr Haus.
Später saÃen Nick und ich beim Frühstück und strahlten uns zwischen Mettbrötchen und Nutella -Croissants immer wieder an. Ich konnte nicht aufhören, ihn anzuhimmeln. Wenn ich mir einen Mann hätte malen
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