Vollmondfieber: Roman (German Edition)
Entweder das, oder sie hat ihn bereits an ihren berüchtigten Schandpfahl gefesselt. Was es auch ist, sie wird ihn nicht mehr gehen lassen. Nie mehr.«
Meine Lunge stellte den Dienst ein, als ich im Geiste vor mir sah, wie Selene ihre Hände an Rourke legte. Zugleich wuchsen meine Fingernägel, und ein Knurren stieg ganz ohne meine Erlaubnis aus der Tiefe meiner Kehle empor. Wenigstens hatte der Bann, dem ich ihn versehentlich ausgesetzt hatte, ihn, den Worten der Königin nach zu schließen, nicht getötet. Sonst hätte Selene ja auch niemanden gehabt, den sie hätte quälen können. Gott sei Dank, Rourke lebte! Mein Vater packte mich an den Armen und lenkte meine Aufmerksamkeit wirkungsvoll von der Königin ab und zurück zu sich. »Was ist los?«, fragte er leise, aber in erbittertem Tonfall. »Stimmt das, was sie sagt?«
Die Königin konnte unmöglich wissen , dass Rourke mein Gefährte war. Sie hatte lediglich nach einem Strohhalm gegriffen und sich offenkundig auf eine Vermutung Valdovs verlassen. Aber was immer sie zu wissen glaubte, sie hatte verdammtes Glück gehabt. Sie hatte ihr Ass ausgespielt, und nun war ich am Zug.
Wusste ich es denn so genau? Wir kannten uns erst so kurze Zeit. Ehe ich meine Gedanken sortieren konnte, schlug meine Wölfin in meinem Geist mit der Pfote zu und schnappte nach mir. Ich weiß genau, wie du empfindest, wie du von Anfang an empfunden hast. Aber sind wir auch bereit, seinetwegen den Fehdehandschuh zu werfen und alles aufs Spiel zu setzen? Die Königin wird im Gegenzug etwas von uns wollen, und das wird nicht billig für uns. Und wenn wir das tun, stellen wir uns gegen unseren Alpha. Sie knirschte mit den Zähnen und zeigte nicht eine Spur Unschlüssigkeit.
»Jessica, antworte mir!«, verlangte mein Vater. Im ganzen Raum war absolute Stille eingekehrt.
»Ja, was sie sagt, ist wahr.« Ich schloss die Augen und ballte die Fäuste. »Und wie es scheint … sind meine Wölfin und ich bereit zu kämpfen, um ihn zurückzubekommen.«
Mein Vater fixierte mich mit strengem Blick, und seine Augen erglühten in einem todbringenden Amethystton. Da standen wir also. Er umfasste immer noch meine Arme, die Wölfe waren totenstill, und die Vampire hinter uns fingen an, zu schnattern und zu kichern.
Natürlich konnte es daran liegen, dass wir einander berührten, Aber auf jeden Fall verstärkte sich das Blutband zwischen meinem Vater und mir, raste durch meinen Blutkreislauf, löste kleine Wellen aus, die sich aufbauten und wieder zusammenfielen.
Fest stand, dass die Königin beabsichtigte, diese Information voll und ganz zu ihrem Vorteil zu nutzen. Sowohl mein Vater als auch ich wussten das, ohne dass wir darüber sprechen mussten. Wenn es nach ihr ginge, würden wir einen hohen Preis bezahlen müssen, ehe sie uns gestatten würde, diese Mauern zu verlassen.
»Wann?«, fragte mein Vater schließlich mit angespannter Kiefermuskulatur.
»Ich glaube, meine Wölfin hat ihn sofort erkannt, aber ich habe sie ignoriert. Ich habe es erst begriffen, als«, … er mich mit seinen Küssen um den Verstand gebracht hat …, »ich mich vollständig gewandelt habe. Die Vampire sind gleich darauf aufgetaucht. Ich hatte keine Zeit mehr, das irgendwie zu verarbeiten.« Dann fügte ich schlicht hinzu: »Ich werde alles tun, um ihn zu finden.«
Die Königin räusperte sich und kam langsam die Stufen herunter. Sie genoss die Vorstellung sichtlich. »Ojemine!«, tat sie bestürzt. »Was für ein schreckliches Dilemma! Wie willst du ihn je aus eigener Kraft finden?«, höhnte sie. »Weißt du, wo Selene ihr Lager aufgeschlagen hat? Oder besser, ihre Lager. Sie hat eine ganze Menge Schlupfwinkel. Denn sie ist eine sehr mächtige Göttin, weißt du?« Sie legte eine knochige weiße Hand auf ihr totes Herz. »Wie dumm von mir! Natürlich weißt du, dass sie eine sehr mächtige Göttin ist. Schließlich hat sie dich schon einmal besiegt.« Aber ich hatte sie bluten lassen. Die Erinnerung entlockte mir ein Lächeln. »Da frage ich mich doch, wie du sie je allein besiegen und deinen Gefährten befreien willst. Dieser Berg erscheint unermesslich hoch, bedenkt man, wie kläglich die Kräfte sind, die du bisher offenbart hast.«
»Ich …«
»Sie wird nicht allein sein.« Mein Bruder trat vor, und seine Stimme klang ebenso hart wie wütend. »Ihr Rudel wird sie unterstützen, wie es unsere Gesetze vorschreiben.« Ich sah, dass Tyler mit seinen nächsten Worten kämpfte. Offenbar musste er sich erst selbst
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