Vollmondkuss
beinahe schüchtern. »Bis dahin ...«
»Was willst du?«, fragte Jolin, um die Sache zu verkürzen. Irgendwie freute sie sich, Anna zu sehen, und das, obwohl sie nie so genau wusste, was sie von ihr zu erwarten hatte.
»Ich soll dir was geben«, sagte Anna. »Von Rouben.«
»Er war in der Schule?«
Anna zuckte die Schultern. »Er wusste ja nichts von dem Ausflug zur Burg.« Sie zog einen blutroten Umschlag aus ihrer Jackentasche und reichte ihn Jolin. »Das haben wir alle bekommen.«
»Wer, alle?«, fragte Jolin, während sie den Umschlag so zögernd zwischen ihre Fingerspitzen nahm, als sei er vergiftet.
»Klarisse, Rebekka, Susanne, Melanie ...«, begann Anna aufzuzählen.
»Katrin, du ...«, fuhr Jolin fort.
Anna nickte. »Auch die Jungs. Alle aus dem zwölften Jahrgang. Es ist eine Einladung.«
»Eine Einladung?«, wiederholte Jolin fragend.
»Für den einundzwanzigsten Dezember.«
»Wohin?«
»Warum siehst du nicht nach?«, erwiderte Anna.
»Weil du es mir genauso gut auch sagen kannst.«
»Es steht nicht drin.«
»Toll! Und woher sollen wir dann wissen, wo diese ... diese Veranstaltung stattfindet?«
»Party«, sagte Anna. »Es ist eine Party. Sie findet an einem geheimen Ort statt. Wir werden alle abgeholt.«
Jolin starrte auf den Umschlag, dann sah sie Anna an. Sie holte tief Luft und schüttelte schließlich den Kopf. »Ich nicht«, sagte sie und hielt Anna den Umschlag entgegen. »Meinetwegen kannst du Rouben bestellen, dass er auf mich verzichten darf.«
Anna hob abwehrend die Hände. »Das geht nicht. Ich geb ihm die Einladung auf keinen Fall zurück.«
»Und wieso nicht?«
»Weil ich ihm versprochen habe, dich zu überreden ...« Anna stockte.
»Was hast du?« Jolin wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. »Hör mal, dieser Typ ...«
»Er hat dir wehgetan, schon klar.« Anna nickte.
»Und Klarisse posaunt es auch noch in der Schule herum.«
Anna blickte schuldbewusst. »Hast du denn tatsächlich mit ihm ...?«
»Was?«
»Na ja ... du weißt schon.«
Jolin schwieg. »Du bist verrückt, wenn du da hingehst«, stieß sie schließlich hervor. »Ihr seid alle verrückt.«
Annas Brauen hoben sich. Sie sah Jolin offen ins Gesicht. »Du glaubst doch nicht ernsthaft diesen Unsinn, den Klarisse erzählt«, sagte sie.
»Was meinst du?«
»Na, dass Rouben ein Vampir sei und so.« Anna versuchte ein Lächeln, aber es rutschte ihr ein wenig unglücklich von den Lippen. »Könntest du dich vielleicht mal entscheiden?«, erwiderte Jolin heftig. »Mal denkst du, dass Rouben ein Vampir ist, dann hältst du das wieder für baren Unsinn. Was denn jetzt?«
Anna machte eine abwehrende Geste. »Ach, Jolin, das hat Klarisse sich doch alles nur ausgedacht. Und wir haben uns alle bloß ein bisschen da reingesteigert. Mann, du kennst Klarisse doch.« Anna atmete tief durch und senkte resigniert den Kopf. »Nein, du kennst sie eben nicht. Du weißt überhaupt nicht, wie sie ist.«
»Aber du?«
»Nein, ich auch nicht«, gab Anna zu. »Jedenfalls nicht wirklich. Ich weiß nur, dass sie diese Stories braucht. Sie geben ihr irgendwie den Kick. Manchmal steigert sie sich total in so was rein. Und reißt uns alle mit.«
»Super«, sagte Jolin bitter. »Dann entspringt das also alles ihrer blühenden Phantasie. Das mit dem Foto, auf dem Rouben nicht richtig zu sehen ist. Und die Blutkonserven aus dem Bioraum ...«
»Oh, die sind wieder da!«
»Was?«
»Ja.«
»Und wo? Ich meine, wann und wo sind sie wieder aufgetaucht?«, fragte Jolin.
»Sie lagen dort, wo sie hingehören: Im Kühlschrank. Und zwar heute. Die Schreimer hat natürlich einen ziemlichen Zirkus veranstaltet«, erzählte Anna. »Von wegen Verarsche und so weiter. Kannst du dir sicher denken. Aber sie sind garantiert verdorben«, fuhr sie fort. »Zumindest lässt sich nicht nachvollziehen, ob sie in der Zwischenzeit sachgerecht aufbewahrt worden sind.«
»Wer sie gestohlen hat, weiß man wohl nicht?«, hakte Jolin nach.
Anna schüttelte den Kopf. »Ich kann’s mir allerdings denken.«
»Jetzt sag nicht Klarisse.«
»Sag ich ja gar nicht.« Anna seufzte. »Ach, verdammt, ich weiß es doch selber nicht.« Sie deutete auf den Umschlag in Jolins Hand. »Ich fänd’s gut, wenn du auch kämst. Nicht damit Klarisse dich vorführen kann. Manchmal nervt es mich auch, wie sie über andere herzieht oder versucht, sie bloßzustellen.«
»Über andere?«, entgegnete Jolin. »Du meinst wohl, über mich. Weißt du eigentlich, dass sie
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