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Vollmondkuss

Titel: Vollmondkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Schroeder
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setzte sich auf ihre Brust. Sie musste Ramalia finden, bevor es zu spät war. Darauf zu vertrauen, dass Roubens Mutter sie schon irgendwie hier herausholen würde, war Jolin zu wenig. Ramalia war ein Vampir. Angeblich hatte sie Harro Greims geliebt, gerettet hatte sie ihn trotzdem nicht. Niemand konnte einschätzen, was wirklich in ihr vorging. Dennoch war sie im Moment die Einzige, die Jolin und hoffentlich auch allen anderen helfen konnte.
    Da es offensichtlich keine andere Möglichkeit gab, den Saal zu verlassen, ging Jolin in den Wehrgang zurück und stellte fest, dass es dort eine weitere, schmalere Tür gab.
    »Kann ich Ihnen behilflich sein?«, fragte das Mädchen im rauchblauen Spitzenkleid, das sich inzwischen neben dem Eingang zum Partysaal postiert hatte. Ihre Stimme klang monoton, und in ihrem vordergründig leeren Blick flackerte etwas, das Jolin an ein gieriges, auf Beute lauerndes Tier erinnerte.
    »Ja«, sagte sie zögernd. »Ich muss mal ...«
    »Zu den Toiletten?«, fragte das Mädchen. Sie verzog ihre blutleeren Lippen zu einem Lächeln und entblößte eine obere Zahnreihe, deren Anblick Jolin einen eiskalten Schauer über den Rücken jagte. Vier winzig kleine Schneidezähne wurden von langen spitzen Eckzähnen flankiert, deren Enden dunkelrot schimmerten. Jolin versuchte sich von ihrem Entsetzen nichts anmerken zu lassen und nickte. Das Mädchen deutete auf die schmale Holztür. »Dort den Gang hinunter, zweiter Durchgang links.«
    »Danke«, sagte Jolin. Sie zog die Tür auf und schlüpfte in einen nur spärlich mit einigen Windlichtern beleuchteten Gang. Die beiden Durchgänge zu den Toiletten ereichte sie nach wenigen Schritten, doch dort war der Gang noch nicht zu Ende. Ohne zu überlegen, lief Jolin weiter. Plötzlich trat eine Gestalt in den Gang. Sie musste aus einer Nische in der Mauer oder der Mauer selbst gekommen sein. Ruckartig blieb Jolin stehen. Sie wollte sich umdrehen und zurückrennen, doch dann erkannte sie an der Größe, den Konturen und der Kleidung, dass es sich um Rouben handeln musste.
    »Hey«, sage sie leise.
    »Hast du dich verlaufen?«, fragte er und kam einen Schritt näher auf sie zu. Sein Gesicht lag noch immer im Schatten.
    Jolin überlegte. Vielleicht war es doch klug, ihm von der Prophezeiung zu erzählen. Möglicherweise wusste er sogar, wo seine Mutter sich im Moment aufhielt. Doch dann verwarf sie diesen Gedanken wieder. Sie wollte ein-fach kein Risiko eingehen. »Ah ... ja ...«, erwiderte sie zögernd. »Wie schon gesagt, eigentlich wollte ich mich nur ein bisschen umsehen ...«
    »Keine gute Idee«, erwiderte Rouben. Seine Stimme klang monoton. »Das Beste ist, du gehst wieder in den Partysaal zurück. Der inoffizielle Teil der Burg ist schlecht beleuchtet. Die Steine sind feucht und rutschig, und es wäre doch wirklich schade, wenn dir etwas zustieße.« Er tat einen weiteren Schritt. Der schwache Schein einer flackernden Kerze fiel auf seine linke Gesichtshälfte, und Jolin stellte erschrocken fest, dass es gar nicht Rouben war, sondern jemand, der ihm ungewöhnlich ähnlich sah.
    »Wer bist du?«, fragte sie, nachdem sie sich wieder gefangen hatte. »Ich dachte ...«
    Der junge Mann, dessen Haut so weiß wie Papier war, lächelte. »Hast du mich mit jemandem verwechselt?«
    »Äh ... ja, ich dachte, du wärst... Rouben ...«
    »Tut mir leid«, erwiderte er. »Ich bin nur sein Bruder. Mein Name ist Vincent.«
    »Sein Bruder? ... Aber ...«
    »Hat er dir etwa gar nichts von mir erzählt?« Wieder trat Vincent einen Schritt näher auf Jolin zu.
    »Äh ... nein«, stammelte sie. Die Gedanken jagten kreuz und quer durch ihr Gehirn. Fieberhaft versuchte sie sich zu erinnern, was Rouben über seine Familie erzählt hatte. Das Einzige, was ihr in diesem Zusammenhang einfiel, war jene verhängnisvolle Neumondnacht vor dem alten verfallenen Haus. Aber da hatte sich Rouben ja eher über sie lustig gemacht.
    »Gut«, sagte Vincent. Er stand jetzt genau vor ihr. Die Ähnlichkeit mit Rouben raubte Jolin den Atem. Sogar das schwarze Mal über der Oberlippe fehlte nicht. Ich hab ihn tatsächlich die ganze Zeit über verwechselt, dachte sie bestürzt. N icht Rouben hatte ihr zu Hause im Treppenhaus aufgelauert, nicht er hatte auf ihrer Bettkante gesessen, ihr Haargummi gestohlen und sie zu töten versucht, sondern er, Vincent, sein Bruder! Stocksteif vor Angst trat sie zur Seite, damit er an ihr Vorbeigehen konnte. Doch wie sich herausstellte, wollte Vincent gar nicht zum

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