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Vollmondkuss

Titel: Vollmondkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Schroeder
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Paula mit glühenden Wangen. Sie zog die Hände wieder unter dem Tisch hervor und begann in ihrer vertrauten, lebhaften Art zu gestikulieren. »Mir wäre so etwas nie eingefallen, das wisst ihr. Aber Maren meinte, ich solle mein Talent nicht ausschließlich an euch verschenken.«
    »Wie bitte?« Gunnar lachte unsicher. »Wovon redest du?«
    Das hätte Jolin auch gerne gewusst. Seit wann richtest du dich nach der Meinung eines anderen?, lag es ihr auf der Zunge zu entgegnen.
    Paula schien die Gedanken ihrer Tochter zu erraten, denn während sie die Frage ihres Mannes beantwortete, hielt sie ihren Blick unverwandt auf Jolin gerichtet. »Manchmal haben Freunde Ideen, die man nicht einfach abtun, sondern in sich bewegen und mit großer Aufmerksamkeit betrachten sollte«, sagte sie. »Darüber entscheiden, ob es wirklich das Richtige oder zumindest ausprobierenswert ist, muss man dann natürlich selbst.«
    Jolin schob ein wenig duftenden Reis und etwas von dem Gemüse auf ihre Gabel und nickte stumm. Diese Freiheit, die ihre Mutter da beschrieb, hatte Rouben ihr nicht gelassen. Er hatte ihr nicht die geringste Chance gegeben, das Wechseln des Grundkurses als Option zu überdenken, im Gegenteil. Er hatte ohne ihr Einverständnis die betreffenden Lehrer angesprochen und davon überzeugt, dass ein solcher Wechsel unbedingt notwendig war.
    Macho!, dachte sie wütend. Weshalb nur ließ sie sich von ihm immer wieder wie einen Spielball behandeln? Wieso war sie nicht einfach gleich nach dem Streit mit ihm zum Schulleiter gegangen und hatte die Sache wieder rückgängig gemacht? Warum hatte er eine solche Macht über sie? - Macht, dachte Jolin erschrocken. Konnte man das wirklich so nennen? In der Tat schien es im Moment so zu sein, dass er sie besser durchschaute, als sie selbst es tat. jolin war zutiefst verwirrt. Sie konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Alles, was sie bisher in Bezug auf Rouben beschlossen hatte, war ins Leere gelaufen. Jedes Ziel, das sie sich setzte und das mit ihm zu tun hatte, wurde ihr in nächster Sekunde buchstäblich vor den Augen weggezogen. Und das machte ihr Angst. Jolin fürchtete sich vor Rouben, wünschte sich nichts sehnlicher, als dass er wieder aus ihrem Leben verschwand, und hoffte gleichzeitig voller Inbrunst, dass sie sich in all ihren finsteren Ahnungen irrte.
    »... hat also einfach deine Daten an diese Sendung gegeben?«, hörte Jolin ihren Vater sagen. Jolin zuckte zusammen. Es war, als ob sie aus einem tiefen Traum gerissen worden wäre. Benommen blickte sie auf ihre Gabel, die beladen auf ihrem Teller ruhte. Hastig hob sie sie an ihre Lippen und schob sich das Gemüse in den Mund.
    »Das funktioniert halt so«, sagte Paula. »Selbst kann man sich dort mit seinen Talenten nicht bewerben. Man kann nur einen anderen vorschlagen oder eben selber empfohlen werden.«
    »Und du willst dich tatsächlich ...«, begann Gunnar, wurde jedoch sogleich von seiner Frau unterbrochen. »Ja, ich möchte dort mitmachen«, sagte sie, »ganz egal, was du oder Jolin darüber denkt. Es ist nicht so, dass ich unzufrieden bin. Ich bin wirklich gerne zu Hause und sorge für euch. Aber im Moment habe ich einfach das Gefühl, dass ich mal raus muss. - Einfach mal raus.«
     
    Gleich nach dem Essen war Jolin wie in Trance in ihr Zimmer gegangen. Ihre Eltern waren so sehr mit sich und der Fernsehsendung beschäftigt gewesen, dass sie nicht auf ihre Tochter geachtet hatten und ihnen deren Apathie somit auch nicht weiter aufgefallen war.
    Jolin verriegelte ganz automatisch die Tür hinter sich. Sie stellte die Tasche auf dem Schreibtisch ab, öffnete den Reißverschluss und nahm das Buch heraus. Der samtschwarze Einband fühlte sich schmeichelnd verführerisch an, ganz anders als noch vor anderthalb Wochen. Jolin legte das Buch auf ihr Nachtschränkchen, dann ging sie zum Fenster hinüber, um die Vorhänge zuzuziehen. Dabei bemerkte sie den dunklen Fleck auf dem Teppich, direkt unter dem Sims, dort, wo tags zuvor die tote Fledermaus gelegen hatte. Jolin wich einen Schritt zurück. Wie gebannt starrte sie auf den Fleck, stellte dann aber erleichtert fest, dass es nichts weiter als eine dünne Schicht feiner weißer Asche war. Asche konnte man entfernen, einfach wegsaugen, das war gar kein Problem. Jolin atmete auf. Sie bückte sich nach dem Fleck und fuhr mit den Fingerspitzen durch die geschlossene Schicht. Die Asche war überraschend kalt und fühlte sich seltsam körperlos an. So als ob sie in Wahrheit

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