Vollmondkuss
bitte, was tue ich?«, presste Jolin hervor.
»Alleine schon, wie du jeden Abend die Vorhänge zuziehst und deine Sachen auf dem Stuhl faltest!«
»Mama!«
»Und verliebt bist du auch noch nicht gewesen.«
»Das ist ja wohl meine Sache«, stieß Jolin hervor. »So wie diese beknackte Fernsehkocherei deine ist.« Sie drehte sich um und wollte aus dem Zimmer stürmen, doch Paula war mit einem Satz bei ihr und hielt sie am Arm zurück. »Sag doch gleich, wenn es dir nicht passt.«
Jolin kniff die Augen zusammen. »Ich denke, es ist dir egal, was andere denken!«, schnaubte sie.
»Das hast du falsch verstanden«, erwiderte Paula. Mit einem Mal war sie die Ruhe selbst. Die Aufregung und Hektik, die sie wegen des Kochcastings so flatterig gemacht hatten, waren wie weggeblasen. Fast so, als ob Jolins Aufgebrachtheit ihrer Mutter das Gefühl für ihre innere Mitte zurückgegeben hätte. »Natürlich lege ich Wert auf eure Meinung. Und wenn du diese Kochsendung >beknackt< findest, sie dir also peinlich ist, werde ich einen Teufel tun ...«
»Es ist gut, Ma!«, presste Jolin hervor. »Du kannst machen, was du willst.« Sie blickte auf Paulas Hand, die noch immer ihren Arm umklammert hielt. »Und jetzt lass mich bitte los.« Einen kurzen Augenblick herrschte Stille, dann gab Paula den Arm ihrer Tochter frei. Jolin taumelte in den Flur, riss ihre Zimmertür auf und knallte sie hinter sich zu. Einen Moment hielt sie inne, blickte zur Decke und holte einmal tief Luft. Dann verriegelte sie die Tür und schlüpfte in ihr Bett. »Was fällt dir ein, Ma!«, sagte sie leise und spürte, wie sie wieder von dieser unbändigen, unkontrollierbaren Wut übermannt wurde. Jolin krallte die Finger in ihre Quiltdecke und zog sie sich über den Kopf. Mit langen, tiefen Atemzügen versuchte sie die Wut in den Griff zu bekommen und kam sich dabei vor wie ein kleines Mädchen, das für seine Ungezogenheit bestraft worden war. Dabei war das, was Paula sich da eben geleistet hatte, viel schlimmer als eine pure Bestrafung. Jahrelang hatte sie Jolin so genommen, wie sie war. Nicht ein einziges Mal hatte sie an ihr herumgemäkelt, im Gegenteil: Paula Johansson schien immer im besonderen Maße mit Jolins Ordnungsliebe und Häuslichkeit zufrieden gewesen zu sein. Es war doch nicht möglich, dass dieser alberne Ausbruch aus ihrer kleinen heilen Perfekte Hausfrauenwelt solche Auswirkungen hatte!
»Ma, du wirst dich entschuldigen müssen«, wisperte Jolin. Sie wollte die Decke Zurückschlagen, doch da spürte sie, wie sich jemand am Fußende auf die Bettkante setzte. Jolin erstarrte. »Ma? Bist du das?«, fragte sie heiser.
Dabei war das völlig unmöglich, schließlich hatte sie die Zimmertür verriegelt und den Schlüssel stecken gelassen. Niemand konnte vom Flur aus zu ihr hereingekommen sein. Völlig bewegungslos lag Jolin da und wagte kaum zu atmen. Fieberhaft überlegte sie, wie spät es war und ob es draußen bereits dämmerte oder vielleicht sogar schon der Abend herangebrochen sein konnte. Das Fenster war geschlossen gewesen, dessen war sie sich ganz sicher. Oder doch nicht? War sie nicht viel zu sehr von ihrer Wut beherrscht gewesen, um überhaupt auf so etwas geachtet zu haben?
Schlag die Decke zurück!, befahl Jolin sich selbst. Aber sie war wie gelähmt vor Angst. »Warum sagen Sie nichts?«, presste sie hervor. »So reden Sie doch wenigstens mit mir!« Ihre Stimme überschlug sich, ihr Atem war heiß, und unter der Decke war es stickig. Plötzlich durchzuckte Jolin der Gedanke, dass man sie darunter erdrosseln wollte. Voller Panik schlug sie die Decke zurück. Im selben Augenblick klopfte es an ihre Tür.
»Jolin?«
»Ma!«
Die Matratze an ihrem Fußende bewegte sich kaum merklich nach oben. Im Zimmer war es hell. Jolin sah niemanden, und dennoch spürte sie mit all ihren Sinnen, dass jemand im Raum war.
»Jolin, ist alles in Ordnung?«, rief ihre Mutter hinter der Tür.
Nein. - »Ja!« Hastig zog Jolin ihre Beine unter der Decke hervor, sprang auf und lief zur Zimmertür. »Was ist denn?«
»Es tut mir leid«, sagte Paula. Es hörte sich aufrichtig an. »Außerdem ist jemand am Telefon.«
»Am Telefon?« Jolin drehte den Schlüssel herum und riss die Tür auf. »Wer denn?«
»Rouben«, sagte Paula. Sie reichte ihrer Tochter den Hörer. »Es tut mir wirklich leid«, raunte sie. »Und ich werde nicht ...«
»Doch, du wirst. Gunnar reißt dir den Kopf ab, wenn du jetzt den Schwanz einziehst.« Jolin wusste selbst nicht, warum
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