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Vollmondkuss

Titel: Vollmondkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Schroeder
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sie so redete. Ihr war überhaupt nicht nach Scherzen zumute. Sie drängte sich an ihrer Mutter vorbei und lief mit dem Telefon ins Wohnzimmer, wo sie sich in einen Sessel fallen ließ.
    »Ja, hallo? Rouben?«
    »Ich hol dich ab, okay?«
    »Ja ...« Jolin musste sich erst einmal sammeln. »... Gut, okay.«
    »Es macht ja Sinn, wenn wir zusammenfahren«, sagte Rouben. »Und ich habe heute ein Auto.«
    »Aber ... Ich denke, du bist siebzehn.«
    »Ich habe einen Chauffeur«, sagte Rouben. »Weißt du den Weg zu Klarisse?«
    »Äh ... Nein.«
    »Aber ihre Adresse kennst du doch?«
    »Schon. Ja, klar.«
    »Okay«, sagte Rouben. »Ich klingel bei dir. So gegen neun?«
    »Neun? Ja, gut. Ist okay.« Startschuss war zwar bereits um acht, aber man musste ja nicht zwingend pünktlich sein. Vielleicht fehlte Rouben nun doch die rechte Lust auf diese Party, vielleicht legte er es aber auch darauf an, durch diese Verspätung noch mehr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, als er ohnehin schon bekam.
    »Ich warte dann unten«, sagte er und kappte die Verbindung.
    »Wenigstens >tschüs< oder >bis nachher< oder irgendwas in der Art hättest du wenigstens noch sagen können«, brummte Jolin den Hörer an. Dann arbeitete sie sich aus dem Sofa heraus und trug ihn zur Station zurück.
    »Vielleicht bist du ja doch verliebt«, sagte Paula. Sie trug ihr dunkelblaues Kostüm mit dem runden Revers und dem schmalen Rock und dazu die Schnallenpumps, die sie sich extra für dieses Kostüm gekauft hatte.
    »Hast du gelauscht?«, fragte Jolin.
    »Nein.« Ihre Mutter reckte stolz den Kopf. »Wie sehe ich aus?«
    »Sehr gut. Wie immer, wenn du dieses Kostüm trägst«, sagte Jolin. »Allerdings habe ich noch nie jemanden in einem solchen Aufzug kochen sehen.«
    »Das liegt daran, dass du so gut wie nie fernguckst«, erwiderte Paula.
    »War das jetzt wieder ein Vorwurf?«, fragte Jolin.
    »Herrgott nochmal!« Paula legte die Hände auf ihre Hüften und verdrehte die Augen. »Was ist in letzter Zeit nur los mit dir?«
    »Verspätete Pubertät«, schlug Jolin vor.
    Ihre Mutter schüttelte den Kopf. »Diesen Sarkasmus, den hast du früher nicht gehabt.«
    Jolin zuckte die Achseln. »Und?«
    »Und diese Schnippigkeit auch nicht«, sagte Paula.
    Jolin atmete tief durch. Ihre Mutter hatte recht. Sie war schnippisch. Und sie spürte selber auch dieses Ironisch-Böse in ihrer Brust. Sie erkannte sich selbst nicht wieder, und trotzdem hatte sie das seltsame Gefühl, sich näher zu sein als jemals zuvor. »Ach Ma. Ich glaube, wir sind beide einfach ein bisschen nervös«, sagte sie, auch um sich selbst zu beschwichtigen.
    Paula lächelte. »Schon möglich. Ich für meinen Teil kann das jedenfalls nur bestätigen.«
    »Wann musst du denn los?«
    »Eigentlich vor einer Minute.«
    »Worauf wartest du dann noch?«, fragte Jolin.
    »Darauf, dass du mir nicht mehr böse bist.«
     
    Jolin stand noch eine Weile da und hielt ihren Blick auf die Tür gerichtet, die ihre Mutter in fliegender Hast durcheilt hatte. »Viel Glück«, murmelte sie, was sie eigentlich hätte sagen sollen, als Paula noch da gewesen war. Aber sie hatte es einfach nicht über die Lippen gebracht - was im Übrigen nichts damit zu tun hatte, dass sie immer noch sauer war - nein, das war sie nicht und das hatte sie Paula auch gesagt. Ein bisschen halbherzig vielleicht, doch das hatte nur daran gelegen, dass Jolin selber schrecklich nervös war. Und dass sie plötzlich Angst hatte, die Wohnung könnte sich ohne ihre Mutter verändern.
    In der Tat roch es anders als sonst, vielleicht weil der gewohnte Duft nach einem liebevoll gekochten Essen fehlte. Jolin glaubte jedoch auch noch etwas anderes zu wittern. Ja, es war ein Wittern, die Fähigkeit etwas wahrzunehmen, wie es eigentlich Tieren Vorbehalten war. Und das, was Jolin wahrnahm, war eindeutig: Es roch nach Tod. Oder besser noch: nach ewigem Tod, nach Gefangenschaft und unterdrücktem Zorn.
    Jolin raste ein eiskalter Schauer über den Rücken. Mit aller Macht widerstand sie dem Drang, die Tür aufzureißen und aus dem Haus zu stürzen. Tief in ihrem Inneren wusste sie, dass sie nicht weglaufen und dem, was da auf sie lauerte, auch nicht entrinnen konnte. Jolin atmete tief durch und verscheuchte so den beklemmenden Druck auf ihrer Brust. Sie wandte sich um und ging auf ihr Zimmer zu. Noch war es nicht richtig dunkel draußen, und dieser Umstand gab ihr ein seltsames, mit dem Verstand nicht zu erklärendes Gefühl der Sicherheit. Entschlossen

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