Vollmondstrand
sei es gedankt, das Telefon: »Ich bin in der Stadt. Ich glaub, ich schau einen Sprung vorbei, passt dir das?« Auf Maria war Verlass.
27
Maria ging auf die Knie, um Rosa besser umfassen zu können.
»Was ist denn passiert? Ich bin ja da, es wird alles gut!«
Maria versuchte, sich gedanklich nicht festzulegen. So hatte sie die Freundin selten erlebt, das letzte Mal, als Marti an der algerisch-marokkanischen Grenze als verschollen gegolten hatte.
»Ich weiß nicht«, stammelte Rosa. »Ich kann so nicht mehr, glaub ich.«
»Wovon redest du, Süße?« Und, um die entstandene Pause zu unterbrechen, fuhr sie fort: »Ist was mit Marti?«
»Nichts, es ist nichts mit Marti.«
»Na, Gott sei Dank«, entfuhr es Maria. Jetzt noch die allerwichtigsten Leute durchgehen und bald würde sie mehr wissen: »Deine Eltern sind auch okay?«
»Jaja, es ist nur wegen …«
Wie um Himmels willen sollte sie ihrer besten Freundin erklären, was sie selbst nicht verstand?
»Hast du dich verliebt? Das wäre ja …«
»Nein, obwohl … vielleicht so ähnlich«, stammelte Rosa und ein dümmliches Grinsen begann von ihrem Gesicht Besitz zu ergreifen.
»So, jetzt reicht’s!« Maria sprang auf.
»Setz dich hin. Ich mach uns einen Kaffee.«
Maria hatte gelernt, pragmatisch zu handeln. Nicht immer, aber wenn es die Situation erforderte, gelang es ihr sogar bei Nahestehenden, einen ruhigen Kopf zu bewahren.
Das war wohl die Krux der Helfer: Denen, die sie liebten, konnten sie oft nicht helfen, weil Liebe ja bekanntlich blind machte! Für die beiden schien das nicht zu gelten. Sie sagten sich, was gesagt werden musste.
»So, und jetzt erzähl alles der Reihe nach«, Maria hielt ihr eine kleine, heiße Tasse vor die Nase und setzte sich neben sie auf die Couch. Zuvor hatte sie noch einen Zettel an die Tür geklebt und von innen zugeschlossen. Sie war bereit.
28
»Es ist so …«, begann Rosa zaghaft, um irgendetwas zu sagen. Langsam konnte sie nachvollziehen, dass sich die Freundin Sorgen machte. »… ich will dich nicht verlieren, mein Mariechen.«
»Mich wirst du sowieso nicht los in diesem Leben!«, antwortete Maria ungerührt. »Warum sagst du das?«
»Es ist, weil …«, Rosa suchte nach einer Antwort, »ich will nicht mehr …«
»Da waren wir schon. Was willst du nicht mehr?« Maria wollte Fakten hören.
»Das alles!«, antwortete Rosa, ohne nachzudenken. Der Damm schien gebrochen. »Dieses Murmeltier-Leben, jeden Tag das Gleiche! Nur das Bühnenbild wechselt: im Sommer dürres Gras und im Winter eisiger Gatsch! Und wozu das alles?«
»Das sagst gerade du ?«, antwortete Maria genauso spontan. Sie war aufgesprungen. » Du ? Wo du, gerade aus dem Urlaub zurück, schon den nächsten planst? Weißt du, wann ich – vor Island – zuletzt weg war? Na, was glaubst du?« Ihr Gesicht wurde ganz rot unter den Sommersprossen.
»Weiß nicht«, stammelte Rosa und getraute sich nicht, der Freundin ins Gesicht zu sehen.
»1994, da war der Michi drei und wir waren in Bibione. Damit der Kleine mal das Meer sieht, die ›große Badewanne‹, wie er es nannte. Und, weißt du, warum ich seither nicht länger weg war als drei Tage auf diesen Scheißseminaren? Weil ich es mir nicht leisten kann. Weil immer die Waschmaschine kaputt wird oder eine Stromnachzahlung kommt, sobald ich auch nur daran denke! Und dann kommst du und sagst so was! Du und Marti, ihr wisst ja gar nicht mehr, was ihr alles anstellen sollt in eurer Freizeit. Also, meine Liebe, du weißt, wie sehr ich dich mag – aber bedauern tu ich dich nicht, sorry!«
Rosa wurde leise. »Ich weiß auch nicht, es passt einfach nicht mehr. Es ist, als würdest du eine Hose anziehen und merken: Die ist zu kurz, da bist du rausgewachsen …«
Maria beugte sich über die Freundin. Ein wenig tat ihr leid, nicht was, sondern wie sie es gesagt hatte. Rosa war echt nicht zu beneiden.
29
»Marti, komm bitte. Rosi braucht dich.« Na, hoffentlich hört der Herr Architekt von Zeit zu Zeit seine Mailbox ab, dachte Maria, ihr Handy zusammenklappend. Und da läutete es auch schon.
»Hallo, Maria, wo seid ihr? Ich bin schon am Weg!«
30
›Tock, tock, tock‹ machte es an der Tür. Ach, ich hab den Schlüssel stecken lassen, durchfuhr es Maria.
»Ich komme!«
»Hallo, Maria … nein … wundert mich nicht … länger schon …«
Fetzen eines Gesprächs drangen an Rosas Ohr. Marti war da.
Das schätzte Rosa an ihm: Er fragte nicht lang, wenn es ernst wurde. Er war einfach da.
»Hallo,
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