Vollmondstrand
herein, in der Hand einen Plastikbeutel schwingend.
»Schön, dass du kommst!« Rosa sprang aus dem Sessel und folgte Marti in die Küche. Im Praxisraum machte sich Essensgeruch nicht so gut.
In der Teeküche nebenan richteten sie es sich gemütlich ein. Eine Bar mit zwei kugelförmigen Hockern, mehr gab es nicht. Wenn man Platz nahm, fiel der Blick unweigerlich auf ein Plakat, das Rosa aus New York mitgebracht hatte. Es zeigte eine lächelnde Frau mit einer Tasse in der Hand. Das Bild war in den typischen Farben und im Stil der 1950er-Jahre gehalten, und der Werbeschriftzug lautete: ›Drink coffee, do stupid things faster with more energy!‹
Stäbchen, Behältnisse, alles war da, sogar an zwei Dosen Litschisaft hatte ihr Liebster gedacht! Obwohl sie einen Stock höher eine bestens ausgestattete Kochzeile vorgefunden hätten, blieben sie mittags gern hier unten.
»Na, du schaust heute aus der Wäsche! Hattest du einen anstrengenden Tag?« Marti kannte Rosa lange genug, um in ihrem Gesicht lesen zu können.
»Geht so. Stell dir vor, Mariann hat geschrieben. Sie will, dass wir heuer wieder mitkommen zur Halloween-Party!«
»Und, willst du?« Marti schaufelte weiter gebratene Nudeln in sich hinein, sah dabei nicht einmal auf.
»Lieber heute als morgen.«
Nun hob er den Blick, der Tonfall eben gefiel ihm nicht. Er betrachtete still seine Freundin. Ruhiger war sie geworden. Irgendetwas schien sie zu bedrücken, dachte er. Nur, was? Ein paar Stunden Menschen in Entspannung zu versetzen, konnte doch nicht anstrengend sein. Das musste ja für einen selbst der reinste Urlaub sein! »Was ist los mit dir?«
»Ach, gar nichts. Das Übliche halt.« Rosa war sich bewusst, dass ihre Mittagspause nicht der ideale Zeitpunkt war, um über unerfüllte Sehnsüchte zu philosophieren. Da wurden ja die Nudeln kalt!
»Hast du schwierige Patienten?« Marti blieb unbeirrt.
»Die Patienten sind das Wenigste.«
»Was dann?«
»Es ist das ganze Drumherum«, antwortete Rosa wahrheitsgemäß.
21
»Fehlende Anerkennung, gesellschaftlich gesehen « , fasste Frau Dr. Eibel zusammen, nachdem Rosa in 50 Minuten umrissen hatte, was ihr im Kopf herumging.
Rosa war nach Wien gefahren, wie alle 14 Tage. Sie freute sich darauf und nahm sich bewusst nichts anderes vor, als durch die belebte Kärntnerstraße zu flanieren, in einem Schanigarten am Graben eine Melange zu trinken und, weswegen sie hauptsächlich gekommen war, die Eibel aufzusuchen. Die grauhaarige Dame mit roter Brille saß nun vor ihr, der Blick gütig, aber auch gewitzt. Sie machte ständig Notizen, so auch jetzt.
Bei wem sie wohl mit meinen Belangen Stunden nimmt?, überlegte Rosa, und wird dieser ganze Seelenmüll auch einmal endgelagert? Sie hatte gerade das Bild vor sich, wie alles Unverdaute von Ebene zu Ebene weitergetragen wurde. Eine grauenvolle Vorstellung!
»Oh Gott im Himmel, gib Frieden meinen Sorgen, auf dass ich mir täglich neue machen kann!« Sie schielte gen Himmel.
Rosa wusste, was die Eibel meinte. Es war nur ein Puzzleteil, aber: Das atemlose Gespenst lugte um die Ecke, mit giftgrünen Augen und hohlen Wangen. Was konnte Rosa noch tun, um es zu verscheuchen?
Frönte sie deshalb immer öfter der Vorstellung, am Vollmondstrand Perlen aufzufädeln, sie samstags am Hippiemarkt zu verkaufen und zwischendurch – sich lediglich zu vermehren? Brannte sie aus oder durch, oder war diese Vorstellung einfach normal, das normale Leben , das sie bisher nicht einmal in Erwägung gezogen hatte?
Da draufzukommen, ja, das würde sich lohnen, dachte Rosa. Sie mochte die Eibel. Sie stellte sie sich vor, wie sie wohl in ihrem Alter gewesen war, vor 15 Jahren. Rosa sah sie mit einer Laterne vorangehen und ihr den Weg ausleuchten, den sie, wenn sie wollte, auch gehen konnte.
Wenn sie wollte , ja, das war’s!
Sie musste nicht weitergehen, sie durfte auch stehenbleiben oder sich umsehen, sich niederhocken oder ein Schläfchen machen.
Das eintönige Rattern des Zuges brachte Rosa zu der Überzeugung, dass Letzteres im Augenblick genau richtig war.
22
Rosa war tipptopp ausgeschlafen, als sie wieder nach Hause kam. Sie fütterte die Katzen und goss die Blumen. Am Weg vom Bahnhof heim hatte sie noch frische Ranunkeln besorgt. Von Rosa über Rot bis hin zu einem tiefen Violett. Diese drapierte sie in der Vase, bis sie zufrieden war, goss sich ein Glas Saft ein und setzte sich zu den Katzen auf den Boden. Langsam begann es dunkel zu werden.
Jähes Klingeln durchbrach die
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