Vollmondstrand
sicher enttäuscht waren), und dann daran, dass sie an den Tagen, an denen sie nicht arbeitete, auch nichts verdienen würde. Sie überlegte erneut. Aber wenn ich heute übertreibe, werde ich wirklich krank, dachte sie. Eigentlich ist es ein Segen, wenn nur die Stimme versagt! Malen werd ich heute noch können. Sie spürte eine leichte, freudige Aufregung beim Gedanken daran. Bis dahin würde sie seelisch abtauchen in ein Weichzeichnerbild und sich wieder auftanken. Das konnte sie, und wie.
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Nimm das noch! Und das! Ja, jetzt aber … Rosa war in Fahrt gekommen. Heute sollte es zur Sache gehen, da hatte Maria nicht zu viel versprochen.
Für das ›Hättest was Gescheites gelernt‹ nimm den, und für das ›Red weiter‹ zu deinen Patienten, während du telefonierst, den!
»Hey, da tut sich ja was bei dir!« Maria kam näher, angezogen von der kraftvollen Dynamik, die Rosa auf ihre Leinwand brachte.
»Dein Stil erinnert mich an Prachensky! Diese Dynamik, und die Farbauswahl, ziemlich originell!«
»Danke.« Rosa streifte sich mit dem Ärmel eine Haarsträhne aus dem verschwitzten Gesicht. »Das Beste aber ist«, keuchte sie, »es kommt raus aus dir! Retournons à la peinture!«
Maria klopfte ihrer Freundin auf die Schulter und lachte innerlich. Besser hätte sie es auch nicht formulieren können.
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Nach dem zweiten Abend blieb Rosa noch sitzen, bis alle gegangen waren. Maria zog sich eine Jacke über und ging auf die Terrasse. Sie wollte rauchen und Rosa folgte ihr. »Du, an wen hast du heute gedacht, bei deinem Bild?«, begann Maria das Gespräch und hielt der Freundin das offene Päckchen hin.
»Nein, danke«, antwortete diese und fuhr fort, »na …, an diesen Möchtegern-Guru aus unserer Anfangszeit. ›Ich bin der Psychotherapeut und ihr nur Psychologen. Hättet’s was G’scheites gelernt‹.«
»Verstehe! Hätte nur noch gefehlt, ›von Gottes Gnaden‹«, ergänzte Maria und zog an ihrer Zigarette.
»Gar nicht so weit daneben, der ist in die Übergangsbestimmung reingerutscht.« Rosa holte einen Kaugummi aus ihrer Jackentasche.
»Und ohne Matura, oder?« Maria blies den Rauch aus. War das, was sichtbar wurde, Rauch, oder war es schon so kalt?
»Allgemeinbildung wird ja heutzutage völlig überschätzt!«, feixte Rosa.
Maria nickte, sie kannte die Szene. Sie war froh, Rosa zur Freundin zu haben. Mit ihr konnte sie bereden, was gerade anlag. Das waren nicht immer honigsüße Geschichten. Wie auch? Schließlich spielten sie im echten Leben.
»Und das hat dich so inspiriert?«, fragte sie weiter.
»Offenbar. Da war auf einmal so eine Kraft da. Ich musste sie nur zulassen. So etwas wie ein gesunder Zorn, verstehst du?«
»Ich kenn das von mir«, gestand Maria.
Rosa fuhr fort, es sprudelte förmlich aus ihr heraus. »Noch jetzt bin ich ganz … ich selber, wenn ich daran denk. In jeder Faser spür’ ich – mich! Ich kann’s nicht anders sagen, als dass ich gemerkt hab, wer ich bin, wo ich steh und dass niemand mir mehr ans Bein pinkeln kann. Verstehst du?« Sie spuckte den Kaugummi in den Ascher. »Weil ich es nicht mehr zulasse, basta!«
»Scheint ein tolles Gefühl zu sein!«
»An diese Malgeschichte könnte ich mich gewöhnen«, sprach Rosa und ging wieder hinein. Es war empfindlich kühl geworden.
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»Komm, auf dein erstes Werk, lass uns den passenden Wein aussuchen!« Sie waren noch in die Vinothek gefahren, um Rosas erste Mal-Erfahrung gebührend zu feiern.
»Das muss ein Roter sein, ein gehaltvoller«, antwortete Rosa. »Entweder eine Cuvée oder ein Eisenhaltiger.«
»Du meinst, vom Eisenberg?« Maria war schon neugierig, wie die Freundin ihre Gefühle in Wein transponieren würde.
»Möglich, ich denk da aber eher an eine Cuvée vom Schloss Halbturn, die ich einmal probiert habe. Die war herrlich. Wie hieß die nur?«, kramte Rosa in ihren Erinnerungen.
»Meinst du etwa den Imperial?«
»Ja, jetzt erinnere ich mich wieder. Von dem muss ich noch eine Flasche zu Hause haben.« Rosa war sichtlich erfreut, dass sie nicht allein weitersuchen musste.
»Nach allem, was du mir erzählt hast, finde ich den Wein zu elegant dafür. Der schmeckt mehr französisch.«
»Und mein Bild ist kraftvoll, weniger elegant. Da ist was dran«, überlegte Rosa, mit den Fingern auf die Tischplatte trommelnd.
Maria kam sich vor wie der Assistent von Sherlock Holmes, Doktor Watson. Beide waren sie einem gewichtigen Ereignis auf der Spur. Wo hatte es stattgefunden und wer hatte es produziert? Sie
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