Vollmondstrand
Rosa ging nach oben und schnitt sich ein gutes Stück Jamón Ibérico ab, dazu nahm sie zwei Scheiben Toastbrot und öffnete ein Glas Oliven. Zu trinken gab es alkoholfreien Radler. Mhhh. Ob sich ein Nickerchen ausgeht? Mit fragendem Blick inspizierte sie Uhr sowie Kalender. Nein, in einer halben Stunde würde schon Frau K. kommen und dafür müsste sie noch eine Hypnose vorbereiten.
»Achten Sie auf Ihre Atmung und gleiten Sie mit jedem Atemzug tiefer und tiefer …« Das hatte etwas, Hypnosesitzungen waren manchmal angenehm für beide Seiten.
Danach kam Herr B. und sprach sich die Sorgen wegen eines lauten Grummelns im Bauch von der Seele.
Wie gern die Menschen untereinander ihre Probleme tauschen würden, dachte Rosa manchmal, es fehlte nur eine Tauschbörse! Wie ›Tausche Rotwerden gegen Schluckauf!‹ oder ›Wer möchte meine Bauchgeräusche? Nehme gern Juckreiz in Kauf!‹ Jeder und jede glaubte, sein oder ihr Problem wäre das schlimmste, dabei hatte doch jeder Mensch sein Pinkerl zu tragen. Irgendwann.
Das, was dahintersteckte, das konnten sie aber nicht tauschen, das war ihr ganz persönliches Geschenk. Das durfte jeder selbst auspacken.
Zum Abschluss hatte sich eine Gruppe gestresster Manager angesagt, die Entspannung trainieren wollten, um nicht vollends gaga zu werden. Der Grad ihrer Gelassenheit ließ sich daran messen, wie gern sie zugeben konnten, manchmal nicht weiterzuwissen. Die Welt drehte sich danach immer noch, welch Wunder!
So, und aus für heute. Um 17 Uhr klappte Rosa ihr Buch zu und schaltete den Computer aus. Jetzt noch die Katzen füttern und dann ab nach Wien zur Ausstellung. Mensch, hab ich Hunger!, dachte sie, wohl wissend, dass der Kühlschrank mit heutigem Tag seine letzten Reserven gespendet hatte.
»Servus, Judith! Danke für die Einladung.« Rosa stand im Eingang einer kleinen Galerie in der Schleifmühlgasse. Die Künstlerin umarmte sie.
»Hallo, Rosa! Das freut mich aber, dass du zu meiner Ausstellung kommst.«
»Mich auch, ich habe gar nicht gewusst, dass du malst.« Sie trat in das kleine Gassenlokal und damit direkt auf die Bilder zu. Höchst interessant, was sich hier darbot.
Judith begann zu erzählen: »Das letzte Mal, als ich bei dir war, habe ich erwähnt, ich probiere es irgendwann mit dem Malen. Und, weißt du was, ich habe mich nicht mehr gemeldet, weil ich, seit ich male, keine Behandlung mehr brauche.«
»Wie lang ist das her?« Rosa war wieder wach.
»Zwei Jahre. Nach der Zeit bei dir kann ich jetzt ganz gut für mich selber sorgen. Und malen!« Judith sah frisch aus im bunten Seidenkleid und mit zartem Make-up. Beides war für Rosa neu.
»Das klingt gut«, antwortete diese.
Judith war sichtlich erfreut, über ihre neue Passion reden zu können: »Der ganze Dachboden ist voll mit Bildern. Statt einen Termin auszumachen, nehme ich jetzt Papier und Stifte!«
Rosa spazierte durch die Galerie, vorbei an den kraftvollen Werken. Sie wusste mehr von der Lebensgeschichte der jungen Frau, als durch das Betrachten der Bilder ersichtlich wurde.
»Ich gratuliere dir, Judith. Besonders zu dem Bild ›Sonnenaufgang im Haniftal‹!« Rosa drückte ihre Hand. Judith lachte mit wachen Augen zurück. »Vielleicht sehn wir uns ja mal wieder, auf einen Kaffee?«, überlegte die junge Frau zum Abschied.
»Gern!«, antwortete Rosa.
Das ist es, dachte sie, als sie am Weg nach Hause beim Chinesen haltmachte. Die Menschen zu ihrer Quelle zu bringen, sie unabhängig werden lassen. Das war das Ziel.
»Du bist heute schon da, Schotzl?« Es war gegen neun, als sie die Eingangstür hinter sich zuschloss. Trotz der Häppchen, die sie in Wien genascht hatte, war sie noch hungrig.
»Ja, ich wollte ein wenig am Sax spielen«, antwortete Marti.
»Davon sprechen tust du ja täglich.« Rosa hatte einen herausfordernden Ton in der Stimme.
»Wenn ich um zehn heimkomme, bin ich meist schon zu müde«, war Martis Antwort.
»Guter Plan, du kommst fortan um acht und spielst die Gute-Nacht-Musik.« Rosa legte sich aufs Sofa. Lillian und Billian sahen dies als Einladung an und gesellten sich dazu.
»Heute ist mir mehr nach Free-Jazz. Stell dir vor, die Heinis vom Hammam wollen die Lampen aus Marrakesch nicht. Sie sind ihnen zu traditionell. Sie hätten sich etwas Trendigeres vorgestellt. Ich habe ihnen erklärt, dass sich bei unserer Luftfeuchtigkeit das Eisen verfärbt – nur das wollten sie nicht glauben …«
»Auweh! Spiel mir ›Don’t make a fool out of me‹. Ich nasche in
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