Vollmondstrand
der Zwischenzeit aus meiner Bento-Box.« Rosa war aufgestanden, um das Päckchen zu holen.
»Ich habe gedacht, du isst nichts Asiatisches mehr, das macht dich alt?«, tat Marti verwundert. Rosa hielt kurz inne.
»Ach geh, so eine Box nehmen’s in Japan in die Schule mit«, beschwichtigte sie. »Die Algen um die Makis und der rohe Fisch – das ist reines Anti-Aging für die Haut. Wirst sehen, ich werd’ baby-straff!«
»Dann sollte ich wohl besser ›Once in a Lullaby‹ spielen?« Ohne eine Antwort abzuwarten, nahm Marti sein Instrument auf und setzte es an die Lippen. Der erste Ton durchbrach die lange, spielfreie Zeit. Endlich, dachte er, ist es kein reines Lippenbekenntnis mehr!
Es folgten zwei weitere Töne, bis das Stück erkennbar wurde. »›Summertime‹! Wow!«, rief Rosa und vergaß aufs Essen.
70
Schöne Aussichten, dachte Rosa. Ein Abend, um sich fallen zu lassen.
›19 Uhr Reunion im Club? Glg Elli‹, die SMS war eben eingetroffen.
Eine weiche Landung stand in Aussicht, und schon so bald. Was das für Kraft gab! In den zwei Stunden bis dahin konnte sie sich sogar mit unangenehmer Arbeit beschäftigen.
Sie holte einen Ordner aus dem Regal. Irgendwann war Buchhaltung angesagt, und dieses Irgendwann war jetzt.
»Rosi, mein Schatz!« Wie schön, echte Stimmen und ein lebendes Gegenüber zu haben, dachte Rosa, als sie den Club betrat. Sie lief geradewegs in Marias Arme.
»Bevor du mir von der bunten Welt in Marrakesch berichtest, muss ich dich etwas fragen.« Maria nutzte die Gelegenheit, solang sie noch alleine waren.
»Nur zu, was willst du wissen?« Rosa nahm einige Nüsschen aus der Holzschale und versuchte, sie sich in den Mund zu werfen.
»Ich schreibe gerade einen Artikel für die Psychologenzeitung, dazu brauche ich deine Daten: Wie viele Jahre Selbsterfahrung hast du?«
»Zehn.«
»Zehn Jahre! In Stunden sind das?«
»Ach, das habe ich mir nie ausgerechnet. Wozu auch, die Psychologen rechnen mir sowieso nichts davon an.«
»Genau darum geht’s! Ich habe in diese Richtung einiges vor. Mehr erzähl ich dir ein andermal, heute will ich nur noch wissen, wo hast du meinen Glutäugigen versteckt? Das war schließlich ein Auftrag!«
Rosa griff in ihre Tasche und stellte bunte Glasphiolen auf den Tisch. »›Genies in a bottle‹ waren leider aus! Ein Kreuzfahrtschiff mit amerikanischen Pensionistinnen war vor uns da. Tja, da kannst du nichts machen. Aber hier drin«, sie zeigte auf die kostbar bemalten Flaschen, »versteckt sich Rose, da drin Jasmin und hier Bitterorange. Das reinste Aphrodisiakum, sag ich dir!«
»Du trägst das Öl auf die Haut auf und schon wird der Mann, der es schnuppert, willenlos?« Marias Fantasie kam in Fahrt.
»Aber ja, bien sûr, mon amour!«, säuselte Rosa mit einer ausladenden Handbewegung.
»Und, hast du’s getestet?«
»Was soll ich dir sagen? Meiner hat angebissen!«
»Was hat angebissen?« Elli hatte sich zu den beiden gesellt. Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr sie fort: »Mein Daddy war auch beim Fischen. Braucht jemand einen Zander für den Tiefkühler?«
»Den nehme ich dir gerne ab. So mache ich doch noch einen guten Fang!« Maria zwinkerte Rosa zu und schien zufrieden.
»Wir sind nur zu dritt. War wohl zu kurzfristig diesmal.«
»Welcher Wein passt denn für heute?« Maria hatte es sich zum Ziel gesetzt, die Neo-Wissenschaft ihrer Freundin Elli näherzubringen: »Rosa hat ein neues Konzept für eine Weinberatung erstellt. Sie sucht Weine exakt zur Stimmung und den Charaktereigenschaften einer Person aus.«
»Klingt interessant. Angenommen, … was bin dann ich für dich, Rosa?«, wollte Elli begeistert wissen.
»Erzähl mir etwas Aktuelles. Das kombiniere ich dann mit der Elli, die ich seit 35 Jahren kenne, und schon haben wir dich als Wein aufgestellt!«, gab die Expertin zur Antwort.
»Was soll ich sagen? Ich habe heute beschlossen, mich in Zukunft mehr politisch zu engagieren. Irgendjemand muss es ja tun! Ein Fastfood-Lokal soll neben der Schule gebaut werden. Stellt euch das vor! Der Gemischtwarenladen kommt weg und mit ihm auch Joghurt, Obst und Vollkornbrot!«
»Mhh, also vielleicht ein Biowein? Produziert in einer Großfamilie? Fruchtig, aber nicht ganz jung!« Rosa war in ihrem Element. Ihr Blick wechselte von hochkonzentriert zu verträumt und zurück. Mit großer Geste strich sie das Haar aus dem Gesicht und lächelte verzückt.
»Moment mal. Nicht ganz jung …, ich bin so alt wie du!«
»Lass sie, sie denkt nur
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