Vollmondstrand
Bett!«, beschloss die Katzenmutti gütig. »Apropos, ich geh gleich. Was machst du?« Rosa stellte sich vor Marti, in jedem Arm eine Katze haltend.
»Ich kann jetzt nicht schlafen, ich bin noch ganz aufgekratzt. Mal sehen, vielleicht werf’ ich die Kiste an. Im Flieger hab ich gelesen, es kommt ›Babel‹ mit Brad Pitt.« Marti stand auf und nahm eine Fernsehzeitschrift von der Anrichte.
»Spielt der nicht in Marokko?«, überlegte Rosa. »Ich habe davon gehört.«
»In Quarzazade und auch in Tokio und Mexiko. Eine irre Story«, meinte Marti. »Es heißt, es wären drei Geschichten, die irgendwie zusammenhängen. Vielleicht ganz gut, um noch mal Abschied zu nehmen von der roten Erde!« Er legte sich lang und fingerte in einer Tüte Pistazien herum. »Na dann, schlaf schön!«
»Gute Nacht!« Rosa gähnte. »Mich kann Mr. Pitt heute nicht mehr reizen. Morgen startet gleich um acht mein volles Programm. Es geht durch bis fünf.« Sie gähnte erneut. »Hoffentlich schaff ich es am Abend noch auf eine Vernissage, ohne einzuschlafen oder asozial zu wirken!« Dabei verzog sie wie zur Bekräftigung das Gesicht und zuckte mit den Schultern.
»Ach, du«, entgegnete Marti, »das schaffst du schon!«
69
Drrrdrrrdrrr, der Wecker plärrte und Rosa schlug die Augen auf. Wo bin ich?
Wenn sie viel reiste, konnte es schon vorkommen, dass sie morgens nicht mehr wusste, wo sie sich befand. Im Dunkeln an falscher Stelle die Toilettentüre zu suchen, war noch unangenehmer.
Ahhh … Erleichterung machte sich breit, hier kannte sie sich aus. Allerdings, so dämmerte es ihr, war das folglich auch der Ort, an dem sie in einer Stunde wieder zu arbeiten beginnen würde!
Mit einer zaghaften Geste schlug sie ihre Bettdecke zurück und setzte sich auf. Oh Gott, wer kommt denn heute alles?
Es war ein ganz normaler Arbeitstag im Leben einer Psychotante. Eine Tasse doppelten Espresso und zwei Toastecken später war Rosa bereits in ihrem Arbeitszimmer anzutreffen. Für Schminke war keine Zeit mehr gewesen, dafür hatten die Katzen etwas zu fressen. Es klopfte.
Frau B. trat ein und schlich zum Besuchersessel. Ihre Handtasche hielt sie an den Körper gepresst. Sie nahm Platz und schaute sich im Zimmer um. »Es geht mir schon sehr gut«, begann sie schließlich. »Ich hätte das nie gedacht, aber mein Mann und ich nehmen uns täglich eine halbe Stunde Zeit, um miteinander zu reden. Und, bis wir es wieder versuchen wollen mit einem Kind, wollen wir uns die Welt anschauen! Ich muss ja nicht sofort schwanger werden, ich habe ja noch Zeit, wie Sie gesagt haben …, jetzt höre ich das nicht nur, ich spüre es auch!« Sie entspannte sich zusehends und stellte die Tasche auf den Boden. »Ich möchte es jetzt allein probieren, vielen Dank!«
»Fein!«, antwortete Rosa mit einem Lächeln. Sie liebte Abschlüsse; auch wenn sie schlecht fürs Geschäft waren. Die Freude der Menschen kam bei ihr an.
Nächste Stunde, Frau P.: »Wissen Sie, was schlimmer war für mich als die ganze Krebserkrankung? Die Art und Weise, wie sie es mir im Krankenhaus beigebracht haben. Deshalb bin ich jetzt bei Ihnen. Ich pack das nicht, wie können die sagen: ›In drei Monaten sind Sie tot!‹ Das war vor drei Jahren und ich lebe immer noch!«
»Was werden Sie als Nächstes tun?«, fragte Rosa.
Und bekam als Antwort: »Ich habe jetzt ein Wimmerl am Popo, mit dem geh ich abermals hin und sage: ›Tatarata – ich lebe noch! Und Sie können jetzt dorthin schauen, wo Sie hingehören!‹«
Rosa musste schmunzeln. Es gefiel ihr, wenn die Menschen wieder ihr Leben selbst in die Hand nahmen. Das lief nicht immer politisch korrekt ab, wozu auch?
Es folgte eine Stunde Pause, die Rosa zum Dokumentieren und Vorbereiten nutzte. Danach kam Frau S.. Sie hatte Gewichtsprobleme.
»Ich weiß nicht, warum ich so dick bin, Frau Doktor. Ich esse die ganze Woche streng nach meinem Metabolic-Plan, wiege Fleischstreifen und sogar Karotten ab, und am Wochenende, wenn ich zu meiner Mutter fahre, esse ich alles, was sie mir hinstellt, restlos auf! Als gäbe es kein Morgen …«
»Es hat also mit Ihrer Mutter zu tun«, warf Rosa ein, »was verbinden Sie sonst noch mit ihr, außer Essen?«
Die Klientin dachte nach. »Eigentlich nicht viel«, kam als Antwort, »sie hat uns allein gelassen, mich und meine drei jüngeren Schwestern, war immer am Feld. Wir mussten zur Großmutter, einer hartherzigen, alten Frau, der Opa hat getrunken, aber sonst … war alles ganz normal.«
Mittagspause.
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