Vollstreckung - Sturm, A: Vollstreckung
Wohnblock. Sie zog frierend den Mantel enger und lief zu ihrem Wagen, der ein paar Straßen entfernt parkte.
9. Kapitel
An einem Sonnabend waren nur die Beamten vom Bereitschaftsdienst in der Polizeidirektion anwesend. Die sonst so begangenen Flure lagen verwaist. Sandras Schritte hallten an den Wänden wider, als sie durch das leere Gebäude zu ihrem Büro lief. Eigentlich hatte sie für heute einen Stadtbummel geplant, doch sie war sich sicher, dass sie keine Freude daran hätte. Der Fall ließ sie keine Ruhe finden und spukte fortwährend in ihrem Kopf herum.
Nach dem gemeinsamen Frühstück bei Karin war sie schnell nach Hause gefahren, um sich mit frischer Wäsche zu versorgen.
Dort schlich sie auf leisen Sohlen durch das Haus, weil sie die Begegnung mit den Eltern ihres Freundes scheute und weitere Konfrontationen vermeiden wollte. Sie hatte mit ihrem Freund telefoniert und er musste ihr leider mitteilen, dass ein großer Auftrag anlag und er das gesamte Wochenende arbeiten müsse. Das Letzte, was Sandra anstrebte, war ein Wochenende allein mit seinen Eltern. Die Möglichkeit, zu Hause zu arbeiten, kam ihr deshalb gar nicht erst in den Sinn. Uwes Eltern waren nicht begeistert, dass ihr Sohn mit einer Polizistin zusammenlebte. Wenn sie dann noch im Haus arbeitete, stünde neuer Streit an.
Sandra öffnete das Fenster, sah hinaus und atmete tief durch. Gemeinsam mit der alten Luft verjagte sie alle Gedanken an Uwes Eltern aus ihrem Kopf. Viel lieber erinnerte sie sich an den gestrigen Abend. Die Zeit mit Karin war einfach nur schön gewesen. Sie gestand sich selbst ein, dass sie derart entspannte und fröhliche Stunden schon seit langer Zeit nicht mehr erlebt hatte. Sandra fühlte, dass auch Karin so empfand. Ihre sonst so in sich gekehrte Chefin war aus ihrer selbst gewählten Isolation ausgebrochen und wirkte den gesamten Abend unbeschwert und froh. Sandra spürte, dass in Karins Leben an irgendeinem Punkt etwas gewaltig schief gelaufen sein musste. Aber das, so sagte sie sich, bekomme ich schon noch heraus, schließlich bin ich vom Fach.
Nachdem sie sich Tee gekocht hatte, konzentrierte sie sich ganz auf den Fall. Sandra war überzeugt, dass sie die Spur zur Mörderin am Anfang des Falles aufnehmen musste. Der Anfang lag für sie drei Jahre zurück. Alles begann mit der Vergewaltigung von Sarah Lefort. Gründlich arbeitete sich Sandra noch einmal durch alle Berichte, die sich damit befassten. Die Protokolle sprachen eine deutliche Sprache: Es lag keine Vergewaltigung vor. Sarah Lefort hatte sich alles zusammen gesponnen, was bei ihrer Vergangenheit auch kein Wunder war. Wenn dem so war, fragte sich Sandra, warum beging die junge Frau Selbstmord und warum wurden, drei Jahre nach einem nicht stattgefundenen Verbrechen, die unschuldigen Täter getötet? Und darf eine Frau mit kriminellem Lebenslauf an einer deutschen Schule unterrichten? Sandra beschlich der Verdacht, dass Berichte falsch abgefasst und die Tatsachen verdreht worden waren. Der Grund dafür lag auf der Hand. Jemand wollte die Täter schützen. Dieser Jemand, das stand für sie fest, war der geheimnisvolle dritte Skatspieler, der auch Verbindung zur Ermittlungsbehörde haben musste.
An diesem Punkt ihrer Überlegung, führte sie ihre Tasse an den Mund, doch zu ihrem Leidwesen bemerkte sie, dass diese leer war. Ganz in Gedanken hatte sie die Kanne Tee geleert. Sie setzte neues Wasser auf und ging auf die Toilette. Beim Händewaschen sah sie gedankenversunken ihr Gesicht im Spiegel an. So wurde sie Zeuge, wie sie sich selbst mit der Hand an die Stirn schlug, als ihr auf einmal ein Gedanke kam. Sie rannte ins Büro zurück und startete eine Seite im Internet, wo sie sich zu einem eingegebenen Datum den entsprechenden Wochentag anzeigen lassen konnte.
Warum bin ich nicht gleich darauf gekommen, schalt sie sich selbst. Mit fliegenden Fingern suchte sie den Bericht hervor, der auf der Polizeiwache angefertigt wurde, wo Sarah gleich nach der Vergewaltigung Anzeige erstattete. Der Bericht war lapidar abgefasst und schon in diesem ersten Bericht zu der Vergewaltigung wurde die Vermutung ausgesprochen, dass es sich um eine vorgetäuschte Straftat handeln könnte. Unterzeichnet war der Bericht von einem Polizeiobermeister Unger. Sandra wählte die Nummer dieser Dienststelle und erkundigte sich nach dem Beamten Unger. Sie bekam die Auskunft, dass Polizeiobermeister Unger heute Dienst habe, aber zurzeit Streife fahre. In etwa einer Stunde würde er wieder
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