Vollstreckung - Sturm, A: Vollstreckung
den ›Titten‹ und dem Teller, das klang so süß. Und ich würde mich freuen, wenn du heute Abend mit zu mir kommst. Du kannst auch bei mir übernachten. Da brauchst du den Drachen heute nicht mehr zu sehen.«
Sandra strahlte zu Karin hoch: »Danke, das ist lieb von dir.«
Bevor sie verlegen wurde, gab Karin Sandra einen Klaps auf die Schulter, schnallte ihren Rucksack auf den Rücken und sagte: »Am besten, du fährst hinter mir her, ehe ich dir erst lange den Weg erkläre.« An der Tür schaute sie noch einmal zurück und sagte grinsend: »Ich werde langsam fahren, damit du den Anschluss nicht verlierst.«
Sorgfältig verschloss Dr. Bretschneider die Tür seines Büros im Institut für Rechtsmedizin hinter sich. Zweimal überprüfte er die Tür, damit auch wirklich kein Besucher Zutritt erlangen konnte. Nachdem er seinen Mantel abgelegt hatte, schloss er seinen großen Bücherschrank auf, räumte alle medizinischen Fachbücher, die in erster Reihe standen, beiseite und zog einen dahinter verborgenen Ordner hervor. Bevor er sich dem Studium des Ordnerinhalts widmete, wusch er seine Hände, da seine Handflächen vor Aufregung schwitzten. Er nahm an seinem Schreibtisch Platz, legte einen Notizzettel bereit und begann Seite für Seite die Untersuchungsberichte über Sarah Leforts Selbstmord gewissenhaft durchzuarbeiten. Er hatte vor drei Jahren heimlich Kopien der Polizeiberichte und des Obduktionsberichtes von Sarah Lefort angefertigt.
Mehrere Stunden saß Dr. Bretschneider total in seine Lektüre vertieft in angespannter Haltung an seinem Schreibtisch. Der Notizzettel war mit seiner kleinen, gut lesbaren Handschrift fast gefüllt, als er das letzte Blatt zur Seite legte. Als er aufstand, um den Ordner wieder in das Versteck zurückzulegen, bemerkte er, wie verspannt sein Körper war. Sein Hemd war unter den Armen schweißnass, so hatte diese Arbeit ihn angestrengt.
Er verließ das Institut und fuhr in seine Wohnung. Dort angekommen musste er sich erst einmal entspannen. Er suchte die Zeitung vom letzten Wochenende hervor und widmete sich seinem Hobby. Er löste die diesmal wieder sehr knifflige Skataufgabe, die immer in der Wochenendbeilage war.
»Du hast ja fantastische Fotos an deinen Wänden«, sagte Sandra, als sie ihren Rundgang durch Karins Zwei-Raum-Reich beendet hatte. »Sind das alles Originale?«
Karin, die gerade mit einer Flasche Scotch und zwei großen Gläsern aus der Küche kam, lächelte leicht und nickte bejahend. »Da hast du bestimmt ganz schön investiert. Solche Fotos können teuer sein.«
»Na ja, die Fotoausrüstung war nicht ganz billig, aber die Kosten für die Abzüge halten sich in Grenzen.«
»Du willst mir doch nicht erzählen, dass du diese Fotos geschossen hast?«
»Sie sind ausnahmslos von mir. Frau muss ein Hobby haben.«
Sandra staunte nicht schlecht: »Da könntest du dein Geld auch anders verdienen und müsstest nicht hinter Mördern herjagen.«
Karin schüttelte den Kopf. »Nein, Fotografie ist eine brotlose Kunst, wenn du keinen Namen in der Szene hast. Und mir gefällt meine Arbeit, auch wenn das abwegig klingt.«
Mit diesen Worten verschwand sie wieder in der Küche, um schnell eine Flasche Tonic aus dem Kühlschrank zu holen. »Möchtest du auch einen Whisky-Tonic?«, fragte sie und goss die bernsteinfarbene Flüssigkeit bereits zwei Finger hoch in das erste Glas.
Sandra nickte mit leuchtenden Augen.
Karin hielt Sandra ein Glas hin und sagte: »Wir nehmen den ersten Schluck erst einmal pur. Cheers!«
Nachdem Sandra gekostet hatte, verdrehte sie genießerisch die Augen. »Guter Stoff!«, nickte sie anerkennend. Karin füllte nun die Gläser mit Tonic und forderte zum erneuten Kosten auf. »Daran könnte ich mich gewöhnen«, sagte Sandra. »Aber ich glaube, das Zeug hat es in sich. Da werde ich mal lieber vorsichtig sein.«
Mit dem Glas in der Hand schaute sie sich noch einmal lange die Fotos an, dann setzte sie sich auf Karins große, bequeme Couch und sagte nachdenklich: »Deine Fotos sind sehr schön, aber auf keinem Einzigen sieht man Menschen. Leere Parkanlagen, einsame Waldwege. Du machst deinem Spitznamen alle Ehre.«
»Du meinst ›Einsame Wölfin‹? Was haben die Kollegen noch alles über mich erzählt?«, lenkte Karin geschickt von dem angesprochenen Thema ab.
»Nicht viel«, antwortete Sandra, die merkte, dass Karin diese Problematik unangenehm war. »Da du dich sehr bedeckt hältst, habe ich nur gehört, dass du mit niemandem aus der
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