Vollstreckung - Sturm, A: Vollstreckung
dann wieder seufzend ihren Berichten zu.
Steffen Dahlmann traf eine halbe Stunde zu zeitig im Polizeirevier ein. Er hatte nicht bedacht, dass an einem Sonnabendmorgen der Verkehr nicht so dicht war, wie an einem Wochentag. Er überbrückte die Zeit, indem er mit dem Diensthabenden plauderte. Pünktlich zum Schichtbeginn betrat Polizeiobermeister Unger die Wache. Steffen trat auf ihn zu, stellte sich vor und sagte: »Ich habe eine Frage an Sie. In der Nacht, in der Frau Lefort vergewaltigt wurde, haben Beamte dieses Reviers zwei Tatverdächtige festgenommen. Hat Frau Lefort diese Männer bereits hier auf dem Revier identifiziert?«
Der Polizeiobermeister überlegte keine Sekunde. »Wenn Frau König nicht vor wenigen Tagen diese alte Geschichte wieder zum Leben erweckt hätte, wäre mir eine spontane Antwort nicht möglich. Aber so habe ich mich in letzter Zeit wieder sehr oft mit den Geschehnissen auseinandergesetzt. Nun zu Ihrer Frage: Nein, Frau Lefort befand sich bereits im Krankenhaus, als die beiden hier eingeliefert wurden.«
»Vielen Dank, das war alles.« Steffen drehte sich um und wollte das Revier wieder verlassen, doch Polizeimeister Unger hielt ihn auf. Er lief aufgeregt hinter Steffen Dahlmann her und sagte: »Bitte warten Sie! Haben Sie den dritten Mann schon gefunden? Entschuldigen Sie, dass ich Sie mit meinen Fragen bestürme, aber ich nehme großen Anteil an dieser Sache.«
Steffen bedauerte es in diesem Moment, dass er so kurz angebunden war. Von Sandra hatte er erfahren, wie sehr die Vorfälle Polizeiobermeister Unger mitgenommen hatten. Deshalb sagte er wesentlich umgänglicher: »Wir ermitteln noch. Leider kann ich Ihnen zurzeit keine weiteren Auskünfte geben, aber sobald der Fall abgeschlossen ist, hören Sie von uns. Versprochen.« Er nickte Herrn Unger freundlich zu und verließ das Revier.
Auf der Straße fragte er sich, warum er nicht gleich freundlicher zu dem Polizisten gewesen war. Polizeiobermeister Unger war offensichtlich noch weit davon entfernt, im Dienst abzustumpfen. Er schien einer der Beamten zu sein, die ihren Job nicht nur als Broterwerb ansahen. Außerdem war die Auskunft, die er erhalten hatte, genau die gewesen, auf die er gehofft hatte. Da die Identifizierung nicht auf dem Revier erfolgte, musste ein offizieller Termin zu diesem Zweck stattgefunden haben. Und zu einer Gegenüberstellung gehörte eine Liste der daran beteiligten Personen.
Karin war in der Stadtmitte von Dresden aufgewachsen. Seit über 25 Jahren arbeitete sie bei der Polizei. In allen Stadtteilen war sie zu Beginn ihrer Laufbahn Streife gefahren, daher kannte sie die Stadt besser als die meisten anderen. Karin hatte in und mit der Stadt gelebt und liebte sie sehr.
Wann immer sie über Freizeit verfügte, liebte sie es, durch die Stadt zu streifen. Am schönsten war es tagsüber. Karin schlenderte dann gern ziellos durch Wohngegenden. Am Tag arbeitete der Großteil der Bewohner. Karin genoss dann die Einsamkeit und ihre Anonymität. Niemand nahm von ihr Notiz, keiner kannte sie.
Genau wie sie selbst veränderte sich auch die Stadt. Früher erfolgten die Veränderungen gemächlicher, jetzt war die Zeit und mit ihr die Stadt viel schnelllebiger geworden. Kam Karin an einen Ort, den sie längere Zeit nicht aufgesucht hatte, waren alte Häuser oder Brachflächen verschwunden und Einkaufszentren oder Bürogebäude standen an ihrer Stelle. Karin gefielen nicht alle Veränderungen. Viele gemütliche, romantische Stellen waren der Hektik des Geschäftslebens zum Opfer gefallen.
Führte Karins Weg auf ihren ausgedehnten Streifzügen an verlassenen und verfallenen ehemaligen Betrieben vorbei, befiel sie jedes Mal ein melancholisches Gefühl. Jahrelang waren hier Menschen ihrer Arbeit und einem sicheren Broterwerb nachgegangen. Jetzt waren viele dieser Menschen arbeitslos oder mussten die Stadt auf der Suche nach Arbeit westwärts verlassen.
Ihre Wanderungen hatten auch einen praktischen Hintergrund. Karin bekam den Kopf frei und viele schier unlösbare Probleme klärten sich. Sie hoffte auch diesmal, eine Antwort auf ihre Frage zu bekommen. Wo sollte sie, nachdem alle Spuren im Sande verlaufen waren, die Suche nach der geheimnisvollen Mörderin fortsetzen? Und die Zeit drängte. Karin war bewusst, dass sie sich in einem Wettlauf mit dieser Frau befand. Wenn sie ihr nicht zuvorkam, würde sie ein drittes Mal morden.
Nachdem Karin durch die ausgedehnten Wohngebiete von Johannstadt gelaufen war, überquerte sie
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