Vollstreckung - Sturm, A: Vollstreckung
wieder auf und sie streifte ihr Dienstgehabe wie einen Mantel von sich ab. Dann wandte sie sich Steffen zu, sah ihn offenherzig an und fragte neugierig: »Was ist denn so wichtig, dass ein Kriminalkommissar an einem Sonnabend unverzüglich eine Akte einsehen muss?«
Schon während des Telefonats mit Frau Förster war Steffen aufgegangen, mit was für einer Type er es hier zu tun bekommen würde. So war er auf diese Frage vorbereitet. Steffen hatte für sich entschieden, Frau Förster soweit es ihm möglich war, die Wahrheit zu sagen. Zum einen war er der jungen Frau ehrlich dankbar, dass sie bereit war, ihm sofort zu helfen, ohne dass er einen Gerichtsbeschluss vorweisen konnte. Und zum anderen wollte er sich Svenja warm halten. Ein guter Kontakt zu einer Mitarbeiterin des Gerichts konnte nie schaden.
Es wäre auch unglaublich dämlich gewesen, dachte Steffen, sie anzulügen, nach seinem Weggang aus dem Archiv standen ihr alle Akten zur Verfügung.
Also schilderte Steffen Dahlmann Frau Förster den Fall Sarah Lefort. Die Verbindung zu den aktuellen Morden sparte er in seiner Erzählung aus. Auch jeglichen Hinweis auf die Beteiligung eines Beamten unterließ er. Aber auch so war seine Geschichte ein voller Erfolg. Svenja hing gespannt an seinen Lippen und nahm atemlos seine Worte in sich auf. Als Steffen zum Ende gekommen war, seufzte Frau Förster hörbar auf und machte ihrer Erregung sofort Luft. »Das gibt es nicht, dass diese Mistkerle noch frei herumlaufen. Ich hoffe, ich kann Ihnen helfen, sie alle hinter Schloss und Riegel zu kriegen.«
Die lebhafte Praktikantin war auch bereits von ihrem Stuhl aufgesprungen. »Kommen Sie, ich helfe Ihnen suchen, da geht es schneller. Ich kenne mich hier bestens aus.« Zielstrebig steuerte Frau Förster auf eine Regalreihe zu. »2006 sagten Sie. Das ist hier. Moment … ja, das müsste der Ordner sein. Hoppla, was ist denn das?« Svenja, die gerade nach der Mappe greifen wollte, erstarrte und wies mit ihrem Finger auf das Regal. Vor allen aufgereihten Mappen befand sich eine gleichmäßige Staubschicht. Nur vor dem Ordner, der den Fall Sarah Lefort enthielt, war die Staubschicht, die sich in drei Jahren gebildet hatte, durch kürzliches Herausziehen zerstört wurden.
»Sie sind nicht der Erste, der sich in letzter Zeit für diese Unterlagen interessiert«, kommentierte Svenja ihre Entdeckung trocken.
Steffen war genauso überrascht wie die junge Frau. Sein erster Gedanke galt Karin und er befürchtete, dass diese ihm zuvorgekommen war. Svenja riss ihn aus seinen Grübeleien. »Ich lege ihnen gleich die Besucherlisten der letzten Wochen heraus. Sicher entdecken Sie, wer von Ihren Kollegen sich auch für diese Schriftstücke interessiert hat.« Steffen sah der davoneilenden Frau verwundert nach. Er bezweifelte, dass ihm die Spuren im Staub auch aufgefallen wären. Dies, so sagte er sich, hat mit Frau Försters Beruf zu tun, da entwickelt man einen Blick für solche Dinge. Aber sofort die entsprechenden Schlüsse aus diesem Fund zu ziehen, dazu gehört mehr. Er ging Svenja kopfschüttelnd nach und stellte fest, dass sie ihm bereits einen Stuhl aus dem Nachbarraum besorgt und die Besucherlisten herausgelegt hatte.
»Ich dachte mir, Sie wollen den aufwendigen Schreibkram für das Ausleihen der gesamten Akte umgehen und sie gleich hier durchsehen. Wenn Sie etwas finden, kopiere ich es für Sie.« Frau Förster war offensichtlich eine Frau der Tat. Steffen nickte und sah den Ordner durch. Fast alle Dokumente konnte er nach kurzem Blick zur Seite legen, da sie ihm auch im Computer zur Verfügung standen. Er fand rasch, was er suchte. Die Gegenüberstellung von Sarah Lefort mit den beiden Verdächtigen hatte in den Räumen der Staatsanwaltschaft stattgefunden und die Anwesenden waren namentlich genannt. Frau Förster, die während Steffens Aktenstudium geschwiegen hatte, kopierte die Liste sofort für ihn. Gemeinsam mit Svenja ging Steffen nun die Aufstellung der Besucher des Archivs durch. Niemand aus dem Morddezernat war seit dem Zeitpunkt des Mordes an der Tankstelle hier gewesen. Die anderen Namen auf der Liste konnte Frau Förster alle zuordnen. Diese Besucher recherchierten in Akten, die mit den aktuellen Fällen keine Gemeinsamkeiten aufwiesen.
»Ist es möglich, hier Dokumente einzusehen, ohne sich in die Besuchertabelle einzutragen?«, fragte Steffen.
»Es verstößt gegen die Vorschriften, aber es kommt vor, dass Gäste mitgebracht werden, die sich nicht eintragen.
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