Vom Aussteigen und Ankommen
einem davon lebte Wolf seit vielen Jahren. Das Globolo befand sich an einem heiligen Ort, einem Rondell, in dem besondere Energien flossen. Daneben wuchs eine Kathedrale aus Hainbuchen heran, aber es dauerte noch einige Jahre, bis aus den mickrigen Bäumen ein gotisches Baumgebäude werden würde. Wolf wäre dann schon tot. Er hustete, und dann hatte er wieder Luft zum Erzählen. Er zeigte auf ein Blumenbeet im magischen Garten. Darin wohne Luce, der Geist, sagte Wolf. Er sei schon von zwei Dorfbewohnern gesichtet worden. Er ließ keinen Zweifel daran, dass er ihnen glaubte.
Wolf hatte in den Siebzigern mit Kokain gedealt. Er übernachtete in südamerikanischen Fünfsternehotels, lernte dort Mick Jagger kennen, brachte Drogen nach Europa und verkaufte sie dort. An einem Oktobertag im Jahr 1980 starb Wolfs Vater, am nächsten Tag wurde sein eigener Sohn geboren. Tod und Neugeburt innerhalb weniger Stunden empfand der wilde Wolf als einen schweren Schock, der ihn plötzlich in bürgerliche Bahnen lenkte. Er arbeitete als Handwerker auf Ibiza, und nach der deutschen Wiedervereinigung zog er mit seiner Familie und seinem Zwillingsbruder in das vom Vater geerbte Haus in Salzwedel. Wolfs Zwillingsbruder wurde 1997 Gründungsmitglied des Ökodorfs. Wolf zog einige Jahre später nach, die Brüder hingen sehr aneinander. Sie waren ständige Konkurrenten auch im Ökodorf. Holz fällen, Wände verputzen – er wollte immer schneller sein als sein Bruder, schaffte es aber selten. Als dieser vor drei Jahren starb, wollte Wolf auch sterben. Jetzt hatte er Krebs, aber nun wollte er doch wieder leben.
In einem Heilbeet hatte der kranke Wolf Erbsen gesät, auf die er täglich pinkelte. Die Erbsen sollten auf diesem Weg Informationen darüber enthalten, was Wolfs Körper fehlte, und im Sommer, wenn sie reif seien, würde Wolf sie essen. »Dafür muss man natürlich einen Schlag haben«, sagte Wolf, »aber ich glaube daran, ich hänge am Leben.« Als Wolfs Ärztin ihn vor einigen Monaten begutachten sollte, um für die Kasse zu entscheiden, ob er ein Pflegefall sei, zitterte er plötzlich am ganzen Körper und musste sich eine Weile hinlegen.
»Eine Viertelstunde in Verbindung mit dem System hat mich pflegebedürftig gemacht. Hier im Dorf bin ich nicht pflegebedürftig.« Er kehrte in seinen Bauwagen zurück, und er sagte noch: »Mein Tod wird kein Notfall, mein Tod wird ein Glücksfall, ich will in einem Purzelbaum über die Schwelle springen.«
Am Anfang wollte Sieben Linden noch eine vollständige Selbstversorgung erreichen, alle Nahrung, die hier verzehrt wurde, sollte selbst angebaut und geerntet sein. Davon waren sie mittlerweile abgekommen. Das Dorf hatte, wie es schien, seinen Schwerpunkt auf Seminarveranstaltungen verlegt wie diese Informationstage. Fast täglich waren Seminargäste da, es gab diverse Bauwochen zum Mitarbeiten für jedermann, »schöpferische Biografiearbeit«, »Tiefenökologie«, »gewaltfreie Kommunikation«, »Strohballenhausbau«, »Gourmet-(F)rohkost«, »Gemeinschaftsbildung nach Scott Peck«. Sieben Linden erwirtschaftete mit diesen Seminaren einen wichtigen Teil seiner Einnahmen. Der Großteil des Dorfes wurde mit Privatvermögen und -krediten finanziert, aber auch der Staat und Stiftungen hatten viel Geld beigetragen: Das Dorf bezog Solareinspeisevergütungen, Erwachsenenbildungszulagen, es hatte anfangs Förderzuschüsse der Deutschen Bundesstiftung Umwelt erhalten, bekam Zuschüsse vom Land Sachsen-Anhalt, wovon etwa die neun jungen Leute bezahlt wurden, die hier ein freiwilliges ökologisches Jahr (FÖJ) machten. Die Welt draußen zahlte mit für diese Zukunftswerkstatt. Die Leute aus den Städten kamen hierher und zahlten auch dafür Geld, um sich das selbstgewählte einfache Leben der Ökodorfbewohner anzusehen und davon für ihr eigenes Leben zu lernen. Wobei viele Bewohner des Ökodorfs mit diesen Seminaren Geld verdienten, was sie dafür nutzten, doch nicht ganz so einfach leben zu müssen, also nicht den ganzen Tag Kartoffeln zu ernten, sondern bei einem Tässchen Bio-Tee vor dem Overheadprojektor zu stehen und über die Vorzüge der Rohkost zu referieren.
Trotzdem schufteten einige auch auf den Feldern. Betrachtete man nur Obst und Gemüse, betrug die Selbstversorgungsquote siebzig Prozent. »Selbstversorgungsquote« war ein Wort, das schon am ersten Tag häufiger fiel, es war ein Wort, das Sieben Linden so wichtig war wie Vegetariern der Grünkernbratling. Jetzt, im frühen Mai, kam
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