Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Vom Aussteigen und Ankommen

Titel: Vom Aussteigen und Ankommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Grossarth
Vom Netzwerk:
aber so gut wie nichts von dem, was wir dreimal täglich im Speiseraum aßen, aus dem eigenen Anbau: weder Äpfel noch Orangen, noch die großen Mengen an Blattsalaten, Hirse-, Reis- und Polentagrieß. Bloß die Kürbisse und einige Marmeladen waren noch vom Vorjahr von der eigenen Scholle.
    Das selbst angebaute Gemüse, so hatte jemand berechnet, sei mehr als zweimal so teuer wie das, welches der Ökogroßhandel lieferte. Auch das Heizholz aus den eigenen Wäldern war wesentlich teurer als zugekauftes. Aber man baute selbst an und fällte selbst Holz, weil man an die lokale Versorgung glaubte und das Geld im Dorf halten wollte.
    Ein Bauer macht Ernst
    Ich musste an den Bauern denken, von dem ich im vergangenen Sommer viel über Energiekreisläufe und Selbstversorgung gelernt hatte und von der Härte des einfachen Lebens.
    Tau lag noch auf den Wiesen um den Hof, der Bauer machte morgens um fünf erst mal Rückengymnastik. Anschließend nahm er einen Eimer, ging über die Wiese zur Quelle, schöpfte Wasser, trug den Eimer wieder ins Ofenzimmer und erhitzte die zwei Liter. Lauwarm trank er sie, danach konnte er besser arbeiten. Um kurz nach sechs stand der Selbstversorger mit der Sense im klammen Gras wie schon seit eineinhalb Monaten jeden Morgen. Er erntete und trocknete das Gras, mit dem er im Winter seine Tiere fütterte. Er wollte ohne Geräte auskommen, die Strom oder Diesel verbrauchten. Einzelne Gräser waren schon verblüht, sie reichten uns bis über die Knie. Ich hatte einen Rechen und zog zwei Tage das Gras, das in der Sonne nach wenigen Stunden getrocknet war, zusammen und trug es auf den Heuhaufen. Der Mann stand im Gras, wetzte seine Sense alle zwei, drei Minuten, weil die Maulwurfshügel sie abstumpften. Vierzig Tage Mahd hatte er jetzt hinter sich, zweihundert Stunden Arbeit. Etwa zwei Wochen Heuernte lagen noch vor ihm, bis diese Wiese abgeerntet sein würde, die nicht einmal einen Hektar groß war. Im Gras standen Gänsedisteln, Ampfer, Weidelgras, Frauenmantel, Löwenzahn, Weißklee, Wiesenschwingel. Seine Kühe, sagte er, seien wohl die einzigen in Deutschland, die nur handgeerntetes Heu fräßen. Er sah seine Wirtschaftsweise, wie die Sieben-Lindener ihre, als Modell für die Zukunft.
    Der Bauer trug am frühen Morgen Wadenstrümpfe aus Wolle, eine Lederhose und eine Wolljacke, um halb acht, wenn die Sonnenstrahlen die Wiese erreichten, zog er die warmen Sachen aus und trug jetzt nur noch schwarze Boxershorts, Holzschuhe und als Nierenschutz einen karierten Wollschal. Sein Körper war fettfrei und kräftig. Kühe liefen vorbei. »Kühe sind Luxus, etwas für Reiche«, sagte er, sie fräßen so viel, dass er nicht mehr als zwei ernähren könne. Der eigenwillige Bauer lebte auf einem Hof im südwestlichen Niedersachsen, hatte über die zwei Kühe hinaus auch zwei Kälber und einige Schafe, Hühner, eine Ziege. Die konnte er mit seiner Muskelkraft ernähren, nicht mehr. Die Muskelkraft, das war sein Maß der Vernunft. Er hätte zum Bioladen gehen und Rindfleisch kaufen können, zumindest etwas Winterfutter für die Viecher. Er glaubte jedoch, dass nur die Handarbeit und der Nahrungskreislauf der Tiere eine positive Energiebilanz aufweisen und ressourcenverbrauchende Wirtschaft nur auf Zeit funktionieren kann. Er wollte so leben, wie er es für natürlich hielt. »Das Paradies ist nun mal vorbei«, sagte er manchmal. Was die Muskeln nicht leisten konnten, war zu viel. »Über unsere Verhältnisse leben« war in Finanzkrisen und wenn man über die Zukunft des Schuldenstaates sprach, eine beliebte Floskel der Politiker und Journalisten. Doch niemand hatte ein Maß dafür, was »unsere Verhältnisse« waren.
    Der Bauer hatte es und lebte konsequent danach. Doch sein Maß wollte niemand annehmen. Es galt zwar als fortschrittlich, politisch grün, gegen die Atomkraft und für Nachhaltigkeit, gegen Kinderarbeit in Indien und Wasserknappheit in der Sahelzone zu sein und auch gegen Dumpinglöhne in China und gegen das niedrige Arbeitslosengeld – aber Muskelkraft? Zu der wollte niemand zurückkehren.
    Er bewohnte einen großen Hof mit zehn Hektar Land, zur Hälfte Wiese, zur Hälfte Wald. An der Hofeinfahrt hatte der Spaßbauer, wie er sich selbst nannte, eine große Tafel installiert, über die er sich der Außenwelt mitteilte. Heute stand darauf: »40. Heutag! Schaffe ich’s nochmal? Zwanzig Tage brauche ich wohl noch.« Selten reagierte jemand darauf. In der Nachbarschaft lag ein Fachwerkgehöft, in das

Weitere Kostenlose Bücher