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Vom Aussteigen und Ankommen

Titel: Vom Aussteigen und Ankommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Grossarth
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das war konsequente Kreislaufwirtschaft. »Für mich ist Scheiße Gold. Dass wir aus Scheiße Sondermüll gemacht haben, darin sehe ich das Symbol für den Niedergang unserer Kultur«, sprach er.
    Auch im Ökodorf Sieben Linden gab es Kompostklos, doch hier wurde weniger über die eigenen Exkremente gesprochen. Hier war Scheiße vielleicht nur Silber. Man sprach lieber über das, was man bereits Gutes tat, als über die Widersprüche zwischen Ideal und tatsächlichem Leben. Jeder Mensch, der für sein Leben solche Ideale hat und sie verletzt, erlebt solche Konflikte, und für viele ist das der Grund, die Ideale früher oder später zu relativieren, weshalb es mir sehr imponierte, dass die Menschen hier ein ganzes Dorf gebaut hatten und in die Felder der Altmark ausgewandert waren, um ihre Ideale zu verwirklichen. Auch sie wollten in der Natur leben, ohne sie zu verbrauchen, auch sie taten demnach schon Gutes: siebzig Prozent beim Obst und Gemüse, mehr Gutes als Schlechtes.
    Die meisten waren Vegetarier, einige aßen aber auch Fleisch. Andere waren strenge Veganer, sie aßen kein Produkt, zu dessen Entstehung ein Tier beigetragen hatte. Entlang dieser Fronten kam es gelegentlich zu Konflikten. Im Dorf war es einmal zu einem politischen Streit zwischen Nichtveganern und Veganern gekommen, der um Fragen der Tierhaltung ging. Die Fleisch-Agnostiker wollten im Dorf Nutztiere halten und auch Hühner schlachten, die Veganer wollten jede Tierhaltung verbieten. Mittlerweile war ein Kompromiss gefunden, der jede Schlachtung verbot, die Haustierhaltung aber in Ausnahme fällen erlaubte (etwa Meerschweinchen für die Kinder) und der einer an der Dorfgrenze gelegenen Fuhrhalterei gestattete, Nutzpferde zu halten, wenn diese nicht unter Gewaltanwendung eingesetzt würden.
    Auch zum Wasser waren die Menschen hier sanftmütig: Ein fünfzig Meter tiefer Brunnen versorgte das ganze Dorf. Abwasser, Spülwasser und Urin wurden in einer Schilf-und-Kiesel-Kläranlage gefiltert und dann in dem angrenzenden Wald verrieselt, damit es zurück ins Grundwasser sickern konnte. Der kompostierte Kot aus den Plumpsklos wurde nach zwei Jahren in der Baumschule wieder als Nährboden eingesetzt.
    An einem Abend aß ich mit dem kranken Wolf im Gemeinschaftsraum Spinatsalat. Er hatte die Chemotherapie vor einigen Wochen abgebrochen. Als Wolf im Winter einen Termin für eine neue Chemo beim Arzt ausmachen wollte, sagte man ihm, erst in vierzehn Tagen habe dieser wieder Zeit. Wolf ging im Wald spazieren. Er dachte gründlich nach und beendete die Strahlentherapie. Stattdessen entschied er sich dafür, seine Seele aufzuräumen. Er sprach von nun an, anders als zuvor, alles aus, was ihn bedrückte, und ließ dafür sogar einen alten guten Freund aus Indien anfliegen, um mit ihm einen Streit abzuschließen, der ihn viele Jahre belastet hatte.
    Es gibt einen älteren Film über Sieben Linden. Darin kommt auch Wolf zu Wort, der gesunde Wolf mit demselben grauen Bart von der Oberlippe bis zum Hals, aber ein Wolf mit fünfzehn Kilogramm Körperfett mehr und hundert Falten weniger. Er zeigt im Film auf eine Baumreihe, die sehr weit weg hinter einem großen Maisfeld zu sehen ist: »Die Kiefern dahinten sind meine Palmen.« Wolf schien mir ein Romantiker in einer politischen Welt zu sein. Wir tranken Kräutertee zum Spinatsalat. Wolf grüßte fast jeden der vielen Essensgäste, die am Büfett standen. Seine Krankheit interpretierte er als einen Auflösungsprozess. Er sagte, er gehe immer mehr von einem groben, materiellen Wesen in ein »feinstoffliches« über, werde sensibel für die Energien, die im Rasen steckten, in den Bäumen, in allem Leben, wie für den Geist Luce, der im Blumenbeet lebte. Dazu gehöre es auch, sein Ego abzubauen, und zwar vollständig. »Danke, danke dir für alles, das Gespräch, dass du hier bist. Das tut mir so gut«, sagte er.
    Nachts war eine Party für uns Seminarteilnehmer. Drei ältere Frauen tanzten, ich sprach mit Gisi. Mein Backenzahn schmerzte unentwegt. Der grüne Gisi, ein Junggeselle und Gitarrenlehrer auf der Suche nach einem neuen Leben in einer Gemeinschaft, eine schlaksige Erscheinung mit lockigem langem Haar und einer Brille mit runden Gläsern in der Größe von Fünfmarkstücken, brachte mir aus seinem Zelt eine Zahnmedizin – »selbst angesetzten« Schwedenbitter, wie er sagte. Wir gingen vor die Tür, die Luft war kühl. Nur wenn Schwedenbitter und Ringelblumensalbe nicht helfen, sagte er, müsse man wegen seiner

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