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Vom Aussteigen und Ankommen

Titel: Vom Aussteigen und Ankommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Grossarth
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ein Mann aus der Stadt gezogen war. Er hatte dem kauzigen Selbstversorger neulich geraten: »Du musst die Sachen so formulieren, dass die Leute machen, was du von ihnen willst.« Der Bauer hatte geantwortet: »Ich will sie so formulieren, dass die Leute verstehen, was ich denke und fühle.« Der Bauer schrieb auf diese Tafel aber auch manchmal sehr deutliche öffentliche Aufforderungen an seine Nachbarn, etwa dass sie keine Chemikalien mehr auf die Felder spritzen sollten.
    Der Hof selbst zerfiel. Ein Brett hing vom Dachgiebel herab. Im Schweinestall lagen, hingen, standen: eine Schubkarre mit Brennnesseln, Fahrräder, ein ausgestopfter Hase, Kinderbilder, Taue, trocknende Tierdärme, ein Kanu, alte Holzräder, luftgetrocknetes Schaffleisch für den Winter. Draußen trocknete ein Fell in der Sonne, vor einer Regenwanne standen schmutzige Einmachgläser, auf der Wiese verstreut lagen Tierschädel. Auf der Stalltür stand geschrieben: »Ich bleibe auf dem Land und ernähre mich, wie ich kann.«
    Als ich den Hof zum ersten Mal betreten hatte, dachte ich: »Hier wohnt ein Irrer.« Nach vier Tagen war ich wieder zurück in der Welt und wunderte mich eine Zeit lang sehr über die Welt. Diese konnte der Selbstversorger von dem Südwesthang aus, auf dem seine Wiese lag, beobachten. Das Land war weit und schön, auf der Wiese lagen Kuhfladen und Ziegenkötel. Von hier oben überblickte der halbnackte Mann die Höfe und Felder seiner Nachbarn, einer der Bauern brummte mit einem Hundert-PS-Fendt-Traktor über seinen Acker. Jener spritzte das Unkrautbekämpfungsmittel Glyphosat.
    Seit vor drei Jahren die Frau des Naturbauern und ihre gemeinsamen beiden Söhne ausgezogen waren, die besser leben wollten, hatte er sich auch vom kommunalen Wassernetz abgekapselt und war zur Quelle zurückgekehrt. Nun hatte er Angst, das Glyphosat seines Nachbarn könne ins Quellwasser gelangen. Er wollte es aber nicht auf Schadstoffe messen lassen, dann würde es ihm nur nicht mehr schmecken. Mit seinem Nachbarn war er zerstritten. Er sagte ihm gelegentlich seine Meinung, und der Nachbar verzweifelte an dem kauzigen Sonderling.
    Der Bauer molk die Ziegen und machte täglich einen frischen Käse aus der Milch. Nachmittags zapfte er sie an, wenn er Lust auf einen süßen Schluck hatte. Lud er Bekannte oder seine Kinder zum Essen ein – es gab Eintopf, Trocken- oder Dosenfleisch –, mochte kaum jemand kommen. Wenige seiner Gäste wollten diese Kost. Sein Geschirr spülte er in einer Regenwasserwanne vor dem Stall. Seine Bettlaken wusch er mit kochendem Wasser, die Kleidung mit kaltem Wasser mit Molke, das Geschirr leckte er ab und spülte es dann mit der Wasser-Molke-Mischung. Sich selbst wusch er täglich im Bach und wöchentlich mit warmem Wasser und Seife. Im Winter beheizte der Bauer nur ein Zimmer. In dessen Mitte stand dann ein gusseiserner Ofen, auf dem sich kochen ließ.
    Die Quelle fiel manchmal trocken, dann ging der Bauer mit einem Eimer zur nächsten, vier Kilometer entfernten. Im Winter musste er kaum drei Stunden am Tag arbeiten, er las stundenlang Romane über die Südsee. Donnerstagabends ging der Bauer Tangotanzen. Dann trug er eine schwarze Stoffhose und ein rotes Achselshirt, radelte eineinhalb Stunden lang über die Hügel in das Tagungshotel »Wilde Rose«. Er tanzte barfuß.
    Der Bauer glaubte, dass eines Tages sehr viele Menschen aufs Land würden zurückziehen müssen. Die linksliberale Politikszene, in der einige seiner alten Kumpels aus der Anti-Atomkraft-Bewegung heute Posten hatten, ging ihm auf die Nerven.
    »Ich kann mich doch nicht hinstellen und andere als Atommafia beschimpfen, wenn ich nicht selbst die Muskeln habe und Heu mit der Sense mähe«, sagte er. Er hielt die permanente Suche der Städter nach Selbstverwirklichung und Unabhängigkeit für eine Illusion, doch wie er gegenüber anderen Lebensentwürfen redete, das hatte auch etwas Überhebliches. Die Stadt war ihm so fremd geworden wie er selbst einem Besucher, der aus der Stadt kam.
    »In Mexiko oder Guatemala fand ich die Menschen schöner«, sagte er. »Ich glaube, dass es sich in einem Land, in dem es kein Hartz IV gibt, aber viele Kleinbauern, würdevoller leben lässt.«
    Vor ein paar Jahren hatte er handschriftlich ein Buch geschrieben. Ich las es, er schrieb an die Städter: »Arbeiten Sie ein halbes Jahr mit uns, und Sie werden nicht mehr von Umwelt reden, weil Sie dann erleben, dass Sie die Umwelt sind.«
    Mit seinen Fäkalien düngte er die Wiese,

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