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Vom Aussteigen und Ankommen

Titel: Vom Aussteigen und Ankommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Grossarth
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manch anderer sah er die Auffassung aber kritisch, den »Peak All« gewissermaßen als Revanche der Natur an der Ausbeuterei des Menschen zu begreifen. Sonst hätte ich ihn fast für einen alten Marxisten gehalten, der nur in Antagonismen der Ausbeutung denkt. Offenbar ging es diesen Leuten nicht nur darum, auf die düstere Zukunft vorbereitet zu sein, sondern auch darum, sich durch den Ausstieg von der Schuld des Ausbeuters zu befreien. Für wen das erste Motiv zutraf, der war hier, um für sich das zu tun, was vernünftig erschien. Für wen das zweite zutraf, der lebte im Ökodorf nicht für sich, sondern für die Menschheit. So war das ganze Leben Politik. Sancho aber hatte eine recht eigene Vorstellung von der politischen Zukunft: eine Art Aristokratie verantwortungsbewusster, dienender, »feinfühlender« Leute.
    Doch wo sollten die bloß herkommen und wie an die Macht? Auch Silke Hagmaier sprach oft vom Peak Oil, sie hatte darüber hinaus einen Artikel über diese Thematik veröffentlicht: »George W. Bush und der Landeplatz der Liebe – Oder: Lieber mit dem Pferdekarren durch die Altmark als mit Vollgas in den Abgrund«. Wenn in zwanzig Jahren der Peak Oil erreicht werden würde, dann würde Silke Hagmaier mit ihrem Pferdepflug eine Pionierin gewesen sein. Wenn der Peak Oil dann noch immer im Bereich der Zukunftsprognosen läge oder Solarparks das Öl uninteressant gemacht hätten, würde Silke Hagmaier eine Frau gewesen sein, die mit Pferden gespielt hat.
    Fast alle Arbeit war geschafft. Für ein paar Kannen Tee und Kaffee und einige Körnerplätzchen hatte die Fuhrhalterei einen neuen Zaun, eine neue Trinkstelle und eine neue Scheunenfassade. Hätten Handwerker das gemacht, es hätte Tausende Euro gekostet. Das mussten sich die Arbeitsmarkttheoretiker einmal ansehen, die behaupten, das Angebot an Arbeitskräften hinge von der Höhe des Lohnes ab: Zehn Menschen arbeiteten für zwei Mahlzeiten und zwei Kaffee am Tag und nahmen sich dafür sogar Urlaub. Das Bedürfnis nach sinnvoller Arbeit war groß, Sinn war ein Lohnsubstitut. Vielleicht verdienen die Trader bei den Banken deswegen so viel Geld, weil in der Arbeit keinerlei Sinn zu sehen ist, und nicht, weil diese spezialisierten Leute so rar sind, wie die Banker sagen. Dass die meiste Arbeit gar nicht angefallen wäre, würde Silke Hagmeier Holzimprägniermittel (es gab auch biologisches) nicht als Gift grundsätzlich ablehnen, thematisierte keiner aus unserer Gruppe; und vielleicht war ja auch dieser Gedanke Hirnwichserei.
    Am Abend kam es zu einer Unstimmigkeit. Ich telefonierte im Flur der »Villa Strohbunt« ausnahmsweise mit meiner Freun din. Eine Frau aus dem Club 99 kreuzte meinen Weg und erwischte mich dabei.
    »Oh, das ist verboten, nicht?«
    »Allerdings, Sie müssen das Gelände verlassen.«
    Ich ging hinaus in den Wald, der das Lehmhaus umgab. Es war kalt, und ich war immer noch durchfroren vom Tag draußen. Nach fünf Minuten sah ich im Wald weit hinten im Halbdunkel eine Kräutersammlerin mit ihrem Körbchen. Ich ging ein Stück weiter, bevor sie mich mit meinem Handy sehen konnte und sich die Sache herumsprechen würde. Ich fand ein Klohaus, ging hinein und schloss die Tür. Hier telefonierte ich leise weiter.
    Am Freitagmorgen passierte ein zweites Unglück. Es führte dazu, dass ich das Ökodorf verlassen musste. Hardy hatte der Bautruppe und Silke auf meine Bitte hin ausrichten lassen, dass ich mich zwei Stunden im Dorf umschauen wollte, um Eindrücke für mein Buch zu sammeln. Silke suchte mich mit der Pferdekutsche auf, um mir mitzuteilen, dass es so nicht gehe. Wenn ich nicht mitarbeite, sei ich offiziell ein »Platzgast« und kein »Baugast« mehr. Und als Platzgast müsse ich siebenunddreißig Euro zusätzlich am Tag zahlen, das müsse jeder an jedem Tag, an dem er nicht sechs Stunden Arbeit leiste.
    Ich entschied mich, Sieben Linden zu verlassen. Ich musste auf einem Zettel unterschreiben, dass ich an der Bauwoche teilgenommen hatte; mit diesem Zettel würde die Fuhrhalterei noch eine Erwachsenenbildungszulage vom Land Sachsen-Anhalt beantragen. In unserer Bildungsrepublik fiel also auch schon das Ausheben von Gräben unter Erwachsenenbildung.
    Ich ging nach Poppau, vorbei am Globolo, wo der kranke Wolf wohnte, der am Tag nach unserem Kennenlernseminar einen schweren Zusammenbruch erlitten hatte, aber dem Tod einmal mehr entkommen war. Der Bus fuhr nach Salzwedel, und bevor ich dort in meinen Zug stieg, aß ich im Imbiss am Bahnhof

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