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Vom Aussteigen und Ankommen

Titel: Vom Aussteigen und Ankommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Grossarth
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Gespann nach einigen Sekunden weiter. Am Rand des Ackers steckte eine Frau mit Filzhut Salatsetzlinge in den Boden. Es war ein archaisches Bild, wie ein naturalistisches Gemälde vom harten Landleben. Plötzlich flog ein Hubschrauber heran, er schwebte fünfzig Meter über dem Boden, stoppte nicht weit vom Rand des Ackers in der Luft, blieb kurz und drehte wieder. »Ein Irrer«, sagte Silke, »niemand weiß, wer das ist. Er ist schon mal zehn Meter über mir mit dem Pferdegespann stehen geblieben.«
    Silke redete auf die Tiere ein. Ihr Ansatz war es, die Pferde durch geeignete Kommunikation dazu zu bewegen, dass sie freiwillig für den Menschen arbeiten. Das sollte für die Pferde stressfrei sein, dafür musste der Reiter ein Gefühl für die Körpersprache des Pferdes bekommen, sie selbst erlernen und so das Vertrauen des Tieres gewinnen. Die Bedürfnisse und Psychologie des Pferdes waren zentral, nicht die des Menschen.
    »Ein Pferd ist fünfhundert Kilo Gefühl auf vier Beinen«, sagte sie, als sie uns an einem Abend Grundzüge des Pferdeflüsterns vorführte. Ein Haflinger stand neben ihr, er folgte ihr ohne Bockigkeit. »Pferde sind Beutetiere, wir sind für sie normalerweise Raubtiere, die ihren Fluchtinstinkt auslösen, oder Trottel, die sie nicht beachten müssen«, sagte sie. Dann ritt sie das Pferd und führte es nur durch leichte Verlagerung ihres Körpergewichts. Konventionelle Pferdeprofis hielten Silkes Methode allerdings für naiv und romantisierend. Ich stellte mir einen amerikanischen Western vor, in dem in der entscheidenden Schießerei ein Cowboy ein mit roher Gewalt dressiertes Pferd reitet und sein Gegner mit seinem Pferd »kooperativ« kommuniziert. Wer würde gewinnen? Andererseits gab es heute Schießereien eher vor Wettbüros oder beim Edelitaliener, selten vom Pferd aus.
    Silke stand kerzengerade. Sie war eine rätselhafte Frau, sie schien sich wie kaum ein Mensch in Tiere einfühlen zu können. Wer so sensibel gegenüber Tieren war, hatte sich die Strenge gegenüber Menschen vielleicht nur angewöhnt, um die Welt besser ertragen zu können.
    Schon als sie sechs Jahre alt war, hatte sie von ihren Eltern ein eigenes Pferd eingefordert. Diese wiesen auf die hohen Kosten hin: »Spar erst mal tausend Mark, dann können wir ein Pferd kaufen.« Als sie dreizehn war, hatte sie tausend Mark. Die Eltern verwiesen jetzt auf die hohen Folgekosten für Stall und Futter. Mit fünfzehn zog Silke Hagmaier von zu Hause aus. Häufig sagte Silke heute, das Pferd sei ein Fluchttier. Das Pferd war ein Fluchttier, und Silke war vielleicht ebenfalls ein Fluchttier. Vielleicht lag es auch daran, dass ich sie nicht verstand. Sie blieb mir ein Rätsel, aber ich glaube, sie war keine Tierschutzmissionarin, sie war eine Abenteurerin.
    Am dritten Tag schaufelte ich mit Hardy wieder den Graben tiefer. Wir arbeiteten die meiste Zeit gemeinsam, irgendwie verstanden wir uns gut in unserer wechselnden Zu- und Abneigung des Ökodorflebens. Nachts hatte es heftig geregnet, und Sebastian, der Seelöwe, dessen Zelt nur aus einer über einen dicken Ast gezogenen Plane bestand, war von unten mitsamt seiner Isomatte nass geworden. Auch unser Erdgraben war durch den Regen mit frischem Schlamm aufgefüllt. Die Erde hatte sich mit Wasser vollgesogen, jede Schaufel war doppelt so schwer wie an den ersten beiden Tagen. Meine Arme und der Rücken wurden heute schon morgens müde und bleiern. Die Siedlerromantik war wie weggespült. Weiter ging das Buddeln, Stich für Stich. Wir standen bis über die Hüften im Graben. Er war bereits achtzig Meter lang, verlief ganz gerade, und entlang des Grabens lag parallel ein Haufen mit herausgeholter Erde – so wie ein frisch ausgehobenes Grab auf einem Giraffenfriedhof. Wurzelenden, vom Spaten durchtrennt, schauten aus der Erde hervor.
    Hirnwichsen? Mitfühlen!
    Im Halbdunkel polterten Hardy und ich die Treppen der »Villa Strohbunt« hinauf. Auf dem kleinen Tisch, auf den ich meine Jacke abends legte, fiel mir ein Buch auf. Es hieß Wie Sie Ihre Hirnwichserei abstellen und stattdessen das Leben genießen . Es gehörte unserer Mitbewohnerin Sophie, der Schlange. Man sah sie morgens um halb sieben im Schneidersitz auf ihrer Matratze sitzen, und abends schlief sie bei Einbruch der Dunkelheit ein. Sie war spindeldürr, hatte sich aber in der Fuhrhalterei darauf spezialisiert, die Birkenstämme wegzutragen, die wir für die Zäune verwendeten. Das war eine der körperlich schwersten Arbeiten. Von Tag

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