Vom Aussteigen und Ankommen
Currywurst und Kartoffelsalat. Es war billiger Mist, eine kulinarische Beleidigung nach dem guten Bio-Essen, vielleicht auch Tierquälerei. Doch der Imbiss tat mir gut; er war ein stiller Protest.
Im Radio lief ein altes Kinderlied: »Stups, der kleine Osterhase, fällt andauernd auf die Nase. Ganz egal, wohin er lief, immer ging ihm etwas schief.«
Der Waldmensch aus dem Westerwald
I ch war ins Auto umgestiegen, in dem ich notfalls schlafen konnte, denn der Waldmensch würde keinen Dachboden für Gäste haben; und außerdem wusste er nichts von meinem Besuch. Ein Film aus Bäumen lief links und rechts vorbei, kurz schaute die Burg Greifenstein durch das grüne Flimmern, von deren Turm eine gewaltige Deutschlandfahne herabhing. Einige Leute hatten in ihren Vorgärten kleine Fahnen von Eintracht Frankfurt oder Bayern München aufgehängt. Sie identifizierten sich mit den Vereinen, doch wahrscheinlich kannte nicht ein Spieler von Bayern München oder Eintracht Frankfurt den Ort Arborn im Westerwald. Arborn bestand aus etwa fünfzig Häusern, die fehlerfreie Gärten und so wunderbare Garagentore hatten, als sei dies kein Dorf, sondern die Weltleitmesse für Garagentore.
Schon der erste Mann am Straßenrand wusste, wo der Waldmensch lebte: hinten links, das Auto nach hundertfünfzig Metern stehen lassen, zu Fuß die Wiese hinauf, bis der Bauwagen zu sehen sei.
So machte ich es – parkte an der beschriebenen Stelle, lief hoch und sah tatsächlich den Wagen, obwohl er wie zur Tarnung grün angestrichen war. Er blitzte hinter Baumstämmen und Ästen hindurch.
Der Tag war kalt wie im Februar, was war das für ein Frühling? »Via Campesina« stand auf einem Bretterzaun, der den Durchgang zum Bauwagen versperrte. Der Weg hieß wie die in ternationale Landarbeiter- und Kleinbauernbewegung, die für Landreformen, Kleinbauerntum und gegen die industrialisierte Landwirtschaft kämpfte. Ich fand ein Namensschild und einen Bioland-Aufkleber, aber keine Klingel.
Der Waldmensch wusste nichts von meinem Besuch. Ich schrie: »Herr Hamacher? Herr Haaamacher!«
Wolfgang Hamacher kam Minuten später aus einer Bretterbude, die sein Schafstall war. Er roch nach Tier. Die Klingel wäre doch am Baum gewesen, sagte er – dort hing tatsächlich eine Glocke. Der Waldmensch trug erwartungsgemäß einen langen Bart. Herr Hamacher war schmutzig, aber nicht verwahrlost. Seine Haut wirkte für einen sechzig Jahre alten Waldmenschen weich, seine Ohren waren von geplatzten Äderchen rot gefärbt. Der Frost dieses langen Winters, der gerade erst seit ein paar Wochen vorüber war, hatte sie gesprengt.
Das war Hamachers Winter gewesen: weniger als null Grad morgens im Bauwagen, als er aufwachte. Vier Monate lang Schnee. Ein Westerwald wie in Russland. Der Holzofen und fünf Kisten Bücher haben ihn am Leben gehalten. Er las jedes einzelne. Die Kisten hatte er aus dem Nachlass von einem Bekannten aus dem Dorf bekommen, der den Winter nicht überstanden hatte.
Wolfgang Hamachers Nase stützte eine Lesebrille mit Messingrand. Die Haare, die hinter der runden Glatze noch wuchsen, waren zu einem kurzen Zopf zusammengefasst. Der Waldmensch wirkte streng wie ein orthodoxer Mönch aus einem sibirischen Kloster, doch sein rheinischer Akzent verlieh seiner Erscheinung Heiterkeit. Er bat mich herüber in seinen Bauwagen. Ich erzählte, weshalb ich hier sei; er überlegte kurz und erlaubte mir, zwei Nächte zu bleiben. Er stellte sonst keine Fragen zu meinem Buch und machte nur eine Einschränkung: »Fürs Doppelbett kenne ich Sie nicht gut genug.« Er war der erste Mensch, der mich auf dieser Reise siezte.
Wieder diese vormoderne Offenheit. Wie Reiner und Heike in Vorpommern nahm er mich einfach so als Gast auf. Auch in Arborn hätte ich an vielen Türen klopfen können, und irgendwann hätten sie dann vielleicht die Polizei gerufen.
Staub und Fett halten sich die Waage
Wir rauchten im Bauwagen ein paar Zigaretten, und Herr Hamacher begann zu reden. Der Waldschäfer Wolfgang Hamacher, geboren 1950 in Köln, gelernter Gärtner und Tierpfleger, Erstkontakt mit der alternativen Szene 1983 am Bodensee, lebte hier ohne Wasseranschluss und elektrischen Strom. Er kochte mit Gas, heizte mit Holzstücken, die er vom Waldboden auflas, aß viel Schaf und ansonsten billige Sachen aus dem Supermarkt, die er sich von dem Geld kaufte, das er von der Europäischen Union als Landschaftspflege-Subventionszahlungen bekam. Zudem verdiente er ein paar hundert Euro im Jahr
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