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Vom Aussteigen und Ankommen

Titel: Vom Aussteigen und Ankommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Grossarth
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er war kauintensiv. Zahnweh! Die Pferde hinterm Zaun kauten derweil Rinden frischer Birken. Sie mussten gute Zähne haben, sie fraßen Baumrinden, wir aßen Körnerkuchen, die ganze sachsen-anhaltinische Gauchoranch kaute.
    Bis zum Abendessen standen Hardy und ich wieder knietief im Graben. Es machte zufrieden, das Land so zu verändern, dass es dem Menschen nützlicher wurde als zuvor. Es war eine banale Einsicht und gleichwohl erschreckend, dass ich seit mehr als zehn Jahren keinen Spaten mehr in der Hand gehabt hatte und auch sonst keine handwerklichen Geräte außer einen Hammer zum Bilderaufhängen. Jetzt fühlte ich mich so frisch wie als Fünfjähriger beim Staudammbauen an einem Bach. Wir hoben Berge an feuchter Lehmerde heraus ans Licht, und ich konnte wieder das archaische Siedlerglück nachvollziehen. Für das eigene Dorf arbeiten, Land erschließen, hämmern, damit die Familie den Winter überlebt, Land urbar machen und wieder mit den Händen zu erfahren, woher Wohlstand kommt und wie kostbar er ist.
    Gleichzeitig aber erinnerte mich unsere Arbeit am Graben auch an ein Arbeitslager. Es hatte etwas von überflüssiger Quälerei, mit einem Bagger hätte man den Graben in zwei Stunden fertigstellen können, wir benötigten Tage. Die DDR, fragte ich Hardy, habe doch solche Lager nicht unterhalten, dafür sei sie zu human gewesen, sie habe die Systemfeinde doch einfach nur weggesperrt? Er wisse es nicht, sagte Hardy: »Weeß ich ooch nich.« Keinen Satz sagte er häufiger als diesen. Dann sagte er doch noch mehr: Heute gebe es in Cottbus solch ein Arbeitslager, das wisse er sicher, dort seien Behinderte interniert. Es heiße »Beschützende Werkstatt«, die Behinderten müssten dort Wachs von alten Kerzenstummeln zusammenkratzen und neue daraus formen, damit die Kirche sie billig von der Werkstatt kaufen könne. Er meinte es ernst. Derartige Lager gebe es auch in Westdeutschland, sagte ich. Es war immer ein Gewinn, sich voneinander zu erzählen.
    Die Pferde schwitzen gern für uns
    Die Veganer sagen, es gebe in der Fleischfrage kein »Sowohl-als-auch«. Jedes vom Menschen verursachte Tierleid sei eine Sünde. Wer sagt, Tiere zu schlachten und zu essen sei natürlich, gilt ihnen als unmoralisch. Als ich erzählte, dass ich neulich angeln gewesen war, schauten die Veganer anklagend. Nadja, die Nacktschnecke, die selbst auch fast keine tierischen Produkte aß, sagte, sie sei aber keine Vegetarierin: »Mal einen schönen Wildschweinschinken, warum nicht?« Ich war dankbar für die sen Satz, die darin mitschwingende Toleranz fühlte sich warm an. Mir fiel ein Test ein, mit dem man tolerante von dogmatischen Veganern unterscheiden konnte: Biete ihnen ein Stück Schokolade an, und wenn sie sagen: »Nein danke«, sind sie tolerant. Wenn sie sagen: »Nein, ich bin Veganer, in jedem Stück Schokolade steckt Tierleid«, sind sie wahrscheinlich fanatisch.
    Auf dem Esstisch stand eine Flasche Apfelessig. Im Essig schwammen tote Drosophila-Fliegen. Zwei Veganer betrachteten die Glasflasche.
    »Fliegen«, sagte der eine.
    »Nein, Nelken«, sagte der andere.
    »Nein, ich weiß sehr gut, wie Nelken aussehen«, sagte ich.
    »Tatsächlich, es sind Fliegen, sie haben Füßchen und Flügel«, sagte der andere.
    »O ja. Dann ist das ja nicht mehr vegan«, sagte der eine.
    Am zweiten Tag war auch der Ritter angekommen. Tim – groß, blond, hanseatisch – war von Berlin mit Pferd, Hund und Fahrrad hergefahren. Er trug Handwerkerkleidung. Tim stammte aus einer alten Hamburger Reitlehrerfamilie. Er war Dressurreiter und arbeitete als Reitlehrer, bis zum Burn-out. Er hatte nicht mehr hinsehen können, wie die reichen Hamburger die Pferde wie Gebrauchtwagen behandelten, wie sie zweiundzwanzig Stunden im Stall standen, um eine Stunde geritten zu werden von Leuten, die kaum reiten konnten. Er war ein praktizierender Tierfreund: In seiner Studentenzeit hatte er mal für einen Feinkostversand gejobbt, er fuhr lebende Hummer und Flusskrebse zu den Kunden, doch auf jeder Tour schenkte er heimlich drei Flusskrebsen in der Elbe die Freiheit. Nun machte er im Club 99 eine Probezeit. Er wollte herziehen und künftig mit einem Freund die Landwirtschaft in Sieben Linden ausbauen.
    Wenn wir in der Fuhrhalterei arbeiteten, ging Silke manchmal stundenlang mit einem Pferdepflug und zwei vorgespannten Tieren über den Acker. Man sah sie hin und her laufen, es sah gemütlich aus, Silke rief Kommandos, manchmal blieben die Pferde stehen und zogen das

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