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Vom Aussteigen und Ankommen

Titel: Vom Aussteigen und Ankommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Grossarth
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Korintherbrief:
    Wir verkünden Gottes geheimnisvolle, verborgen gehaltene Weisheit, die Gott zu aller Zeit zu unserer Verherrlichung vorausbestimmt hat. Keiner von den Herrschern dieser Welt hat sie erkannt, denn hätten sie sie erkannt, so hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt … Denn uns hat es Gott durch den Geist offenbart; denn der Geist erforscht alles, sogar die Tiefen Gottes.
    Die Brüder und Schwestern von Jerusalem schwiegen meist. Dahinter stand die Idee, dass Hören wichtiger sei als Sprechen. Also hatten sie zwar die Ohren immer offen, aber in der Regel war gar nichts zu hören, weil niemand redete. Auch die Brüder waren feinstoffliche Wesen, so wie der wilde Wolf in Sieben Linden, nur als der wilde Wolf noch im Alter der Mönche gewesen war, hatte er an der Copacabana gelegen und feinen Stoff inhaliert, er selbst war noch sehr grobstofflich gewesen. Die Mönche waren frühreif. Weil der Mund vom Reden befreit war, blieb im Kloster Zeit, in der die heiligen Texte nachklingen konnten.
    Es gab Ausnahmen vom Silentium. Prior Nicolas-Marie erlaubte, dass ich mit Bruder Jean-Tristan sprach. Wir bereiteten am Vormittag gemeinsam das Essen zu. Zucchinistücke im Bierteig brutzelten im Fett.
    »Ihr sündigt hier ja nicht«, sagte ich.
    »O doch, wir haben viele Sünden«, sagte Jean-Tristan und zeigte auf den Boden des Topfes, den er gerade ins Spülwasser tunkte: Das Essen war angebrannt.
    Jean-Tristan hatte Bankbetriebswirtschaftslehre studiert und drei Jahre in Paris als Bankkaufmann gearbeitet. Man hätte ihn auch für einen Familienvater von vier Kindern halten können, den die Verantwortung erwachsen gemacht, der aber seinen Hu mor trotzdem nicht verloren hatte.
    Als er in Paris lebte, sah er im Fernsehen eine Reportage über die Brüder von Jerusalem. Ein Leben im Kloster und doch in der Stadt, halbtags draußen in der Welt arbeiten, vielleicht im alten Beruf, diese Melange erschien ihm interessant. Am Tag des offenen Denkmals war er mit Arbeitskollegen verabredet. Sie versetzten ihn, und er ging verärgert los, landete zufällig in der Kirche, in der die Communité de Jérusalem eine Messe sang. Er erinnerte sich an die Fernsehreportage, setzte sich in eine der hinteren Reihen, hörte zu und begann zu weinen. Dann ging er immer wieder in diese Kirche und fragte sich, da die Rührung blieb, ob es seine Berufung sei, selbst Mönch zu werden. Im Alter von achtundzwanzig Jahren entschied er sich, das zweijährige Noviziat in dem Orden zu machen, und anschließend gelobte er Armut, Keuschheit und Gehorsam.
    Seine Familie in Toulouse konnte er jetzt nur noch sehr selten besuchen, vielleicht zweimal im Jahr. Irgendwie sei er aber auch froh darüber, sagte er, denn die Tischgespräche könne er wirklich nicht mehr hören; da gehe es immer nur darum, was dieser Nachbar gemacht habe oder jener gesagt habe, die permanente bürgerliche Selbstbeweihräucherung auf dem Umweg des Lästerns über die Leute, deren Glanz nicht so hell strahlte wie der eigene. Er war ein Rebell.
    Als sie ihr neues Kloster in Köln bezogen hatten, lud das bischöfliche Ordinariat die Gemeinschaft von Jerusalem zum Karneval ein. Sie gingen, wie immer, in ihren dunkelblauen Habiten aus dem Kloster. Dazu hatten sie sich rote Pappnasen aufgesetzt. So schauten sie sich den Rosenmontagsumzug an, und ausnahmsweise fielen sie unter Cowboys, wandelnden Müllsäcken, Nutten und Piratenkindern in ihren Gewändern nicht auf. »Man hatte uns vorher gesagt, es sei die Hölle, aber so schlimm fanden wir es gar nicht«, sagte Jean-Tristan. In normalen Zeiten war ein Gang durch die Altstadt für die Mönche nerviger. »Om, Om«, riefen ihnen die Leute hinterher, oder sie sangen: »Hare Krishna« – je später, desto enthemmter, denn es war ein Kneipenviertel.
    Ansonsten war der Kontakt mit Köln auf die Messen und die Arbeit begrenzt. Die Mönche lebten in Klausur, sie gingen nicht in Kneipen, nicht ins Kino oder ins Theater, sie sahen nicht fern. Sie nutzten aber das Internet, um E-Mails zu lesen und zu schreiben, und lasen christliche Zeitungen: Die Tagespost und La Croix .
    Die Bierteigzucchini waren fast fertig. »Ihr seid nicht oft an der Sonne?«, fragte ich.
    »Doch, auch wir brauchen Wasser, Luft und Sonne«, antwortete Jean-Tristan.
    Der Tag für Luft und Sonne war der Montag, der Wüstentag. Dann gingen die Schwestern und Brüder Rad fahren, laufen oder schwimmen. Einige im erzbischöflichen Priesterschwimmbad, andere im

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