Vom Buch zum Byte. Kurze Geschichte des E-Books (German Edition)
versuchte mit Erfolg, die neu entdeckte Cash-Cow zu melken. Die großen Publikumsverlage dagegen zögerten – sie hatten immer noch Angst vor dem, was man später als „Kannibalisierungseffekt“ bezeichnen sollte. Doch die Grundlagen für die Revolutionierung der Verlagsbranche waren zu diesem Zeitpunkt längst gelegt. Denn 1994 war auch das Jahr, in dem in Seattle ein kleiner, unscheinbarer Online-Händler Büroflächen anmietete. Der Name dieses Startups klingt nur allzu bekannt — Amazon. Bis Amazon-Gründer Jeff Bezos zusammen mit seinem Kindle-Reader auf die Titelseiten des Time-Magazines gelangte, sollten aber noch mehr als zehn Jahre vergehen. Zunächst einmal krempelte Amazon nach und nach den Online-Versandhandel mit gedruckten Büchern um (siehe das Kapitel: Die Amazon Story), und beobachtete aufmerksam den Markt für portable Geräte.
Interludium: Personal Digital Assistants
Dort tat sich bereits einiges. Zumindest im kleinen Maßstab machte das elektronische Lesen nämlich schon in den 1990er Jahren mobil. Die Grundlage dafür legte der Siegeszug der PDAs, also der „Personal Digital Assistants“. Schon lange vor Tablet und Smartphone brachten die handlichen, mit Eingabestift zu bedienenden Gadgets nicht nur Office-Funktionen wie Adressbuch, Kalender und Notizbuch mit, sondern ermöglichten auch die Lektüre von elektronischen Büchern.
Legendär ist auch heute noch Apples „Newton“ – das eigentlich „MessagePad“ genannte Gerät kam erstmals 1993 in den Handel. Angetreten war der Newton, um Vannevar Bushs Vision in Form einer tragbaren „Knowledge Machine“ für das 21. Jahrhundert umzusetzen. Grafische Benutzeroberfläche, Handschriftenerkennung, Text-to-Speech-Funktion, und nicht zu vergessen: Fax-Schnittstelle, das klang damals geradezu utopisch.
Nicht weniger utopisch waren die „Newton Books“, interaktive elektronische Bücher, die Apple speziell für den Message Pad konzipiert hatte. Bei den Newton Books handelte es sich um waschechte Hypertexte, inklusive eingebetteter Illustrationen. Newton Books boten die Möglichkeit, mit Hyperlinks in einzelne Kapitel und Querverweise zu springen, eine Suchfunktion erlaubte das Auffinden wichtiger Begriffe. Ausgewählten Text konnte man zudem per Copy&Paste in Textverarbeitungsprogramme übertragen.
„Apples Newton sollte [Isaac] Newton widerlegen – er sollte ein Gerät sein, das der Schwerkraft trotzt, das als Nachfolger des Personalcomputers Standards setzt, die das 21. Jahrhundert einläuten“, schrieb c’t-Autor Detlev Borchers dem Gadget 2003 ins Stammbuch – schon zu diesem Zeitpunkt posthum. Denn so ganz konnte das Gerät der Erdenschwere nie entkommen. Die Software der ersten Newtons war störanfällig, der Akku hielt nicht so lange durch wie von der Werbung versprochen. Teuer waren die Handhelds obendrein. Bis Apple das Projekt 1998 wieder aufgab, wurden gerade einmal 300.000 Geräte verkauft, fast ebensoviele landeten originalverpackt auf der unternehmenseigenen Müllkippe.
Aus heutiger Sicht kann Apples Newton aber als Wegbereiter der Personal Digital Assistants gelten – wovon vor allem Palm Computer Inc. profitierte. Nicht umsonst war das Unternehmen nach dem englischen Wort für die Innenfläche der Hand („palm“) benannt. Mit den deutlich kleineren, leichteren „Palm Pilots“ eroberte Palm ab 1996 den globalen Markt. Eine wichtige Rolle dabei spielte allerdings auch, dass Einstiegspreisen um 300 Dollar die Palm Pilots deutlich erschwinglicher machten. In kurzer Zeit wurden sie geradezu zum Synonym für PDAs überhaupt. Viele US-Amerikaner reden noch heute noch nostalgisch von ihrem „Palm Pilot“, auch wenn sie letztlich ein ganz anderes Gerät benutzt haben.
Eine wichtige Zusatz-Funktion spendierte die mitgelieferte E-Reader-Software. Es war der Palm Pilot, der viele Anwender zum ersten Mal mit der Lektüre elektronischer Bücher auf mobilen Geräten vertraut machte. So konfrontierte etwa GigaOM-Autor James Kendrick im Jahr 2010 seine Leser mit einem überraschenden Bekenntnis:
„Ich lese E-Books schon seit zehn Jahren. Lehnen Sie sich zurück und lesen Sie diesen Satz noch einmal. Während E-Reader scheinbar erst seit einer kurzen Zeit existieren, und dieser Eindruck täuscht auch nicht, gibt es E-Books schon viel länger. Ich habe mit der elektronischen Lektüre schon in den alten Tagen des Palm Pilots begonnen. Natürlich war das Display kleiner als etwa beim Kindle, aber es hatte so seine
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